Höllenflut
gut getarnter und sehr erfahrener Trupp Special
Forces auf Shangs Domizil vordringen. Vom Wasser aus sah die
Sache jedoch anders aus. Ein Taucher konnte jederzeit unter den
Bootsanleger und die Jacht schwimmen, ohne daß ihn jemand
entdecken würde.
Während er das AUV zum Segelboot zurücklotste, spulte Pitt
die Angelschnur auf, bis nur mehr das Vorfach im Wasser hing.
Dann nahm er den präparierten Lachs, den er aus Foleys Hütte
mitgenommen hatte, und befestigte den Haken rasch und
heimlich an seinem aufgerissenen Maul. Er wedelte begeistert
mit den Armen, drillte den seit langem toten Fisch ins Boot und
hielt ihn hoch, damit jeder sehen konnte, was für einen großen
Fang er da gemacht hatte. Die beiden Wachposten mit den JetSkis kurvten keine fünfzehn Meter weit entfernt über den See
und brachten das kleine Segelboot mit ihrem Kielwasser ins
Schaukeln. Da er sich einigermaßen sicher war, daß sie ihn auf
einem staatseigenen Gewässer nicht behelligen würden,
beachtete er sie nicht weiter. Pitt wandte sich statt dessen den
Posten am Ufer zu und schwenkte den Fisch wie eine
Signalflagge. Er beobachtete sie weiter, bis sie wieder in den
Blockhütten verschwanden, nachdem sie offenbar nichts
Verdächtiges gefunden hatten. Da Pitt keinerlei Sinn darin sah,
sich noch weiter hier herumzutreiben, und gleichzeitig zutiefst
erleichtert war, daß die Wachen, die sich offenbar mehr für den
Angler interessierten als für das, was unter Wasser vorging, das
AUV nicht entdeckt hatten, holte er den Anker ein, setzte das
Segel und nahm Kurs auf Foleys Hütte. Der kleine Tauchroboter
folgte ihm gehorsam dicht unter der Wasseroberfläche.
Nachdem er das Segelboot vertäut und das AUV wieder in der
Kühlbox verstaut hatte, nahm er die 8-Millimeter-Videokassette
aus der Kamera und steckte sie in seine Hosentasche.
Pitt überzeugte sich davon, daß die Überwachungskamera
nach wie vor vom Besen verdeckt wurde, öffnete dann eine
Flasche Martin-Ray-Chardonnay und ruhte sich erst einmal aus.
Zufrieden mit sich, aber nach wie vor wachsam, legte er seinen
alten zerschrammten Colt, eine 45er Automatik, die ihm schon
oft treue Dienste geleistet hatte, in den Schoß und deckte eine
Papierserviette darüber. Die Waffe, ein Geschenk seines Vaters,
hatte ihm mehr als einmal das Leben gerettet, und er ging
niemals ohne sie auf Reisen. Nachdem er die Küche aufgeräumt
hatte, braute er sich eine Kanne Kaffee, ging ins Wohnzimmer,
steckte die Kassette aus dem AUV in einen Spezialadapter und
schob sie in den Videorecorder, der über dem Fernsehgerät
stand. Dann hockte er sich vornübergebeugt vor den Bildschirm,
damit seine heimlichen Beobachter nicht mitverfolgen konnten,
was er sich da anschaute.
Er erwartete sich von den Aufzeichnungen des AUV nichts
Ungewöhnliches. Ihn interessierten vor allem die Aufnahmen
vom Seeboden rund um den Bootsanleger und die dort vertäute
Jacht. Geduldig saß er da und betrachtete die Bilder, die der
Tauchroboter auf seinem Zickzackkurs über den sanft
abfallenden Grund aufgezeichnet hatte, ehe er über den tiefen
Abgrund in der Mitte des Sees hinweggeglitten war und Kurs
auf Shangs Bootsanleger genommen hatte. In den ersten paar
Minuten sah er lediglich ab und zu einen Fisch, der vor dem
merkwürdigen Eindringling schleunigst die Flucht ergriff,
Wasserpflanzen, die aus dem Schlick wucherten, und knorrige
Baumstämme, die von den Zuflüssen zu Tal gerissen worden
waren. Er lächelte vor sich hin, als er in Ufernähe
Kinderspielzeug und Fahrräder sah, dazu ein altes Auto,
offenbar ein Vorkriegsmodell, das im tieferen Wasser lag. Dann
tauchten plötzlich merkwürdige weiße Flecken in den
blaugrünen Fluten auf.
Pitt spürte, wie sich jeder Muskel in seinem Körper
verkrampfte.
Gebannt und voller Entsetzen starrte er auf den Bildschirm,
als die weißen Flecken zu Gesichtern wurden, als er Köpfe
erkannte und menschliche Leiber, die da unten im Schlick lagen.
Der Seeboden war mit Leichen übersät - es mußten Hunderte
sein, wenn nicht noch mehr, viel mehr, denn manche lagen zu
dreien und vieren übereinander. Sie ruhten auf dem sanft
abfallenden Seeboden, aber das Feld der Toten erstreckte sich
weit hinab in die Tiefe. Pitt kam sich vor, als stünde er auf einer
Bühne und starrte durchs Zwielicht ins Publikum. Die Gesichter
im Vordergrund waren klar und deutlich zu erkennen, doch nach
hinten wurde die Sicht immer trüber, bis schließlich alles in
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