Höllenflut
von der Statur her eher
durchschnittlich wirkender Mann mit slawischen Zügen und
dichtem schwarzem Haar, das gut eingeölt und ohne Scheitel
glatt nach hinten gekämmt war, aus dem Fahrstuhl. Er schritt
durch das Zimmer und blieb vor Qin Shangs Schreibtisch
stehen.
Qin Shang blickte zum Chef seines Sicherheitsdienstes auf,
der einst einer der besten und rücksichtslosesten Geheimagenten
von ganz Rußland gewesen war. Man hatte Pawel Gawrowitsch,
einem Killer von Berufs wegen, dem in Sachen Kampfsport
kaum jemand das Wasser reichen konnte, ein Spitzengehalt
geboten, wenn er sich bereit erklärte, seinen hohen Posten im
russischen Verteidigungsministerium aufzugeben und für Qin
Shang zu arbeiten. Gawrowitsch hatte nicht einmal eine Minute
lang überlegen müssen, ehe er darauf eingegangen war.
»Einer meiner Konkurrenten, ein kleiner Reeder, der ein paar
wenige Schiffe besitzt, hat sich als großes Ärgernis erwiesen.
Sein Name ist Quan Ting. Sorgen Sie bitte dafür, daß er einen
Unfall erleidet.«
Gawrowitsch nickte schweigend, machte auf dem Absatz
kehrt und stieg wieder in den Fahrstuhl, ohne auch nur ein Wort
zu sagen.
Am Morgen darauf saß Qin Shang allein im Eßzimmer seines
Penthauses und überflog wie üblich zahlreiche Zeitungen aus
dem In- und Ausland. Im Hongkong Journal stieß er auf zwei
Artikel, die er mit Freuden las. Der erste stand im Polizeibericht:
Einem tragischen Verkehrsunfall fielen gestern abend der
Vorstandsvorsitzende und Geschäftsführer der China & Pacific
Lines, Quan Ting, und seine Ehefrau zum Opfer, als ihre
Limousine von einem mit Stromkabeln Geladenen
Schwertransporter erfaßt wurde. Neben Mr. Quan und seiner
Frau, die sich auf der Heimfahrt von einem Diner mit Freunden
im Mandarin-Hotel befanden, kam auch deren Chauffeur ums
Leben, Der Lastwagenfahrer, der sich vom Unfallort entfernte,
konnte von der Polizei bislang nicht ermittelt werden.
Der zweite Artikel stand unter den Inlandsnachrichten:
Wie heute von seiten der Regierung in Peking
bekanntgegeben wurde, ist der Leiter der Kommission für Innere
Angelegenheiten Yin Tsang plötzlich und unerwartet verstorben.
Auf einem Inlandsflug von Hongkong nach Peking erlag er den
Folgen eines Herzinfarkts. Trotz aller Wiederbelebungsversuche
konnte bei der Ankunft am Flughafen Peking nur mehr der Tod
des Kommissionsleiters festgestellt werden, der zuvor niemals
unter Herzbeschwerden gelitten hatte. Sein Stellvertreter Lei
Chau wird voraussichtlich die Nachfolge von Yin Tsang
antreten.
Wie bedauerlich, dachte Qin Shang schadenfroh. Yin Tsang
hat anscheinend meine Privatmischung nicht vertragen. Er
mußte seiner Sekretärin Bescheid sagen, daß sie Präsident Lin
Loyang sein Beileid bestellte und zugleich einen Termin mit Lei
Chau vereinbarte, den er frühzeitig mit den nötigen
Schmiergeldern versorgt hatte und der angeblich nicht halb so
habgierig war wie sein Vorgänger. Qin Shang legte die Zeitung
beiseite und trank einen letzten Schluck Kaffee. In der
Öffentlichkeit trank er nur Tee, aber in seinen eigenen vier
Wänden zog er Kaffee vor, vor allem den Zichorienkaffee, wie
man ihn im Süden der Vereinigten Staaten kochte. Ein leiser
Glockenton ertönte, worauf seine Privatsekretärin das Eßzimmer
betrat, zu ihm kam und einen ledergebundenen Aktenordner auf
den Beistelltisch neben ihn legte.
»Hier sind die Auskünfte, um die Sie unseren Mittelsmann
beim FBI gebeten haben.«
»Einen Moment bitte, Su Zhong. Ich möchte gern Ihre
Meinung wissen.«
Qin Shang schlug den Ordner auf und ging ihn durch. Er
entnahm ihm ein Foto und hielt es hoch. Ein Mann, der eher
leger in eine weite Hose, Golfhemd und Sportsakko gekleidet
war, stand neben einem Auto, offenbar einem Oldtimer, und
schaute mit einem schiefen, beinahe scheuen Grinsen in die
Kamera. Das Gesicht war gebräunt und wettergegerbt, und die
von tausend Lachfältchen umgebenen Augen waren unverwandt
auf den Betrachter gerichtet, als wollten sie abschätzen, wer sich
das Bild anschaute. Ein Eindruck, den die dunklen, dichten
Augenbrauen nur noch verstärkten. Es war ein
Schwarzweißfoto, so daß man die Augenfarbe nicht erkennen
konnte. Vermutlich blau, dachte Qin Shang.
Das dichte, wellige schwarze Haar war offensichtlich
ungekämmt. Der Mann war gut gebaut - breitschultrig, um die
Hüfte eher schmal. Laut der Unterlagen war er einsneunzig groß
und wog 84 Kilogramm. Er hatte große, schwielige Hände, die
mit zahlreichen kleinen
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