Höllenflut
Narben übersät waren, und lange
kräftige Finger. Offenbar konnte er zupacken. Die Augen, so
stand hier jedenfalls, waren grün, nicht blau.
»Sie haben doch ein Gespür für Männer, Su Zhong. Sie haben
ein Auge für Dinge, die andere, darunter auch ich, nicht sehen.
Schauen Sie sich dieses Bild an. Betrachten Sie diesen Mann
und verraten Sie mir, was Sie von ihm halten,«
Su Zhong strich sich die langen, schwarzen Haare aus dem
Gesicht, beugte sich über Qin Shang und blickte auf das Foto.
»Gutaussehend, auch wenn er ein bißchen ruppig wirkt. Ich
spüre eine eigenartige Anziehungskraft. Er sieht aus wie ein
Abenteurer, so als reize es ihn, das Unbekannte zu erkunden. Er
trägt keinerlei Ringe, neigt also eher zu Schlichtheit. Die Frauen
fliegen förmlich auf ihn. Sie kommen sich durch ihn nicht
bedrängt vor. Haben das Gefühl, daß er ihre Gesellschaft
genießt. Er strahlt etwas Zuvorkommendes, eine gewisse
Zärtlichkeit aus. Ein Mann, dem man trauen kann. Allem
Anschein nach ein guter Liebhaber, Er hat viel für Altertümer
übrig, sammelt sie vermutlich sogar. Er ist ehrgeizig, will etwas
erreichen im Leben, aber nicht um seiner selbst willen. Er sucht
die Herausforderung. Hier handelt es sich um einen Mann, der
nicht gern verliert, sich aber mit einer Niederlage abfinden kann,
wenn er der Meinung ist, daß er sein Bestes gegeben hat. Diese
Augen lassen außerdem auf eine gewisse Kühle und Härte
schließen. Er ist durchaus fähig zu töten. Zu seinen Freunden
steht er in unverbrüchlicher Treue. Seine Feinde haben es mit
einem äußerst gefährlichen Gegner zu tun, Alles in allem ein
höchst ungewöhnlicher Mann, der so gar nicht in die heutige
Welt passen will.«
»Wollen sie damit sagen, daß er ein Relikt aus der
Vergangenheit ist?«
Su Zhong nickte. »Er könnte durchaus auf ein Piratenschiff
passen, als Kreuzfahrer durchs Heilige Land ziehen oder eine
Postkutsche durch die Wüsten des alten amerikanischen
Westens fahren.«
»Ich danke Ihnen für ihre außerordentlichen Erkenntnisse,
meine Liebe.«
»Es ist mir eine Freude, Ihnen zu Diensten zu sein.« Su Zhong
verbeugte sich, verließ leise das Zimmer und zog die Tür hinter
sich zu.
Qin Shang drehte das Foto um und vertiefte sich in den Text,
wobei er zu seiner Erheiterung feststellte, daß er und das Objekt
seiner Neugier am gleichen Tag des gleichen Jahres geboren
waren. Doch damit erschöpften sich die Gemeinsamkeiten. Die
Person auf dem Foto war der Sohn des Senators George Pitt aus
Kalifornien. Barbara Knight war seine Mutter. Er hatte die
Newport Beach High School in Kalifornien besucht und
anschließend die Luftwaffenakademie in Colorado. Ein
überdurchschnittlicher Abschluß als fünfunddreißigster seines
Jahrgangs. Hatte Football gespielt und etliche Pokale gewonnen.
Nach der Pilotenausbildung hatte er sich in der Endphase des
Vietnamkrieges wiederholt durch Tapferkeit ausgezeichnet.
Hatte es bis zum Major gebracht, ehe er sich zur National
Underwater and Marine Agency versetzen ließ. Wurde später
zum Oberstleutnant befördert.
Er sammelte alte Automobile und Flugzeuge, die er in einem
alten Hangar am Rande des National Airport von Washington
aufbewahrte. Wohnte unmittelbar über seinen Schätzen. War
unter Admiral James Sandecker Leiter für Spezialprojekte bei
der NUMA. Die Auflistung seiner Erfolge las sich wie ein
Abenteuerroman. Er hatte die Arbeiten zur Bergung der Titanic geleitet, längst verloren geglaubte Schätze aus der Bibliothek
von Alexandria entdeckt, die berüchtigte rote Flut aufgehalten,
die sämtliches Leben auf Erden gefährdet hatte - kurzum, diese
Person hatte in den letzten fünfzehn Jahren zahllose
Menschenleben gerettet und sich unschätzbare Verdienste um
die Archäologie und den Umweltschutz erworben. Alles in
allem waren es über zwanzig Seiten, auf denen all die
erfolgreichen Unternehmungen aufgeführt wurden, die er
geleitet hatte.
Qin Shangs Mittelsmann hatte außerdem eine Auflistung der
Menschen beigelegt, die Pitt nachweislich getötet hatte. Es war
eine beachtliche Zahl. Erstaunt las er die Namen. Es waren
sowohl reiche und mächtige Leute darunter als auch
gewöhnliche Kriminelle und gedungene Mörder. Su Zhongs
Einschätzung war richtig. Dieser Mann konnte äußerst
gefährlich werden, wenn man ihn sich zum Feind machte.
Es dauerte fast eine Stunde, bis Qin Shang die
Aufzeichnungen beiseite legte und sich wieder das Bild
vornahm. Eingehend musterte er
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