Höllenflut
nichts, denn das
einzige Bullauge war schwarz gestrichen.
»Was denn«, rief Giordino. »Keine Schale mit Obst auf dem
Zimmer?«
Pitt schaute sich fasziniert um. »Ich frage mich, ob wir
Abendgarderobe anlegen müssen, wenn wir mit dem Kapitän
speisen.«
Sie hörten, wie die Ankerkette rasselnd eingeholt wurde, und
spürten dann das leise Pochen der Maschinen unter ihren Füßen,
als die Oregon aus der Manila Bay auslief und Kurs auf ihren
Bestimmungsort Hongkong nahm. Ein paar Minuten später
klopften sie an der Tür zur Kapitänskajüte. »Treten Sie bitte
ein.«
Ihre Kabine war bereits mehr als prachtvoll, aber die hier
konnte es mit jeder Penthaussuite aufnehmen. Sie sah aus wie
der Ausstellungsraum eines Innenarchitekten in der besten
Gegend von Beverly Hills. Das Mobiliar war teuer, aber
geschmackvoll. Die Wände, beziehungsweise die Schotten, wie
es in der Seemannssprache heißt, waren entweder mit kostbaren
Hölzern getäfelt oder mit Gobelins verhängt. Der Teppich war
dick und flauschig. An den beiden holzgetäfelten Wänden
hingen etliche Ölgemälde, allem Anschein nach Originale. Pitt
trat näher und betrachtete eins der prunkvoll gerahmten Bilder.
Es war ein Seestück. Ein Schwarzer lag an Deck einer kleinen
Schaluppe, die den Mast verloren hatte, während rundum Haie
kreisten.
»Winslow Homers Gulf Stream«, sagte Pitt. »Ich dachte, das
hängt in einem New Yorker Museum.«
»Das Original ja«, sagte der Mann, der neben einem
wuchtigen alten Rollpult stand. »Das hier sind Fälschungen. Für
die Originale käme in meinem Gewerbe keine Versicherung
auf.« Der Mann, ein gutaussehender Mittvierziger mit blauen
Augen und kurzgeschnittenen blonden Haaren, kam ihnen
entgegen und bot ihnen die Hand zum Gruß. »Vorsitzender Júan
Rodriguez Cabrillo. Zu Ihren Diensten.«
»Vorsitzender wie in Vorstandsvorsitzender?«
»In der Seefahrt nicht unbedingt üblich«, erklärte er. »Aber
dieses Schiff wird wie ein Betrieb geführt, wie ein
Unternehmen, wenn Sie so wollen. Daher auch die
entsprechenden Rangordnungen für das Personal.«
»Mal was anderes«, sagte Giordino ungerührt. »Sagen Sie
nichts, ich will raten. Ihr Erster Offizier ist vermutlich der
Direktor.«
Cabrillo schüttelte den Kopf. »Nein, mein Chefingenieur ist
der Direktor. Mein Erster Offizier ist Geschäftsführer und
stellvertretender Direktor.«
Giordino zog eine Augenbraue hoch. »Das kommt mir alles
höchst spanisch vor.«
»Sie werden sich dran gewöhnen«, sagte Cabrillo. »Soweit
ich aus dem Geschichtsunterricht weiß«, versetzte Pitt, »haben
Sie Anfang des sechzehnten Jahrhunderts Kalifornien entdeckt.«
Cabrillo lachte. »Mein Vater hat immer behauptet, daß
Cabrillo, der Entdecker, ein Vorfahr von uns sei. Aber ich habe
da meine Zweifel. Meine Großeltern stammen aus Sonora,
Mexiko. Sie sind 1931 bei Nogales in die Vereinigten Staaten
eingewandert und erwarben fünfzehn Jahre später die
amerikanische Staatsbürgerschaft. Als ich zur Welt kam,
bestanden sie darauf, daß ich den Namen eines berühmten
Mannes tragen sollte.«
»Ich glaube, wir haben uns bereits kennengelernt«, sagte Pitt.
»Vor etwa zwanzig Minuten«, fügte Giordino hinzu. »Wie Sie
diesen abgehalfterten Seemann dargestellt haben, Vorsitzender
Cabrillo, alias Mr. Smith, das war schon gekonnt.«
Cabrillo lachte schallend. »Ihr seid die ersten, die mich
durchschaut haben.« Cabrillo war, im Gegensatz zu dem
versoffenen Seebären, der sie am Flughafen abgeholt hatte, gut
gebaut und eher schlank. Die schiefe Nase war ebenso
verschwunden wie die Tätowierungen und der ausgestopfte
Bauch.
»Ich muß zugeben, daß Sie mich getäuscht haben. Bis ich den
Bus gesehen habe.«
»Ja, unser Landfahrzeug ist mehr, als es scheint.«
»Dieses Schiff«, sagte Pitt, »die Schauspielerei und das ganze
Getue - worum geht's da überhaupt?«
Cabrillo bedeutete ihnen, daß sie auf einem Ledersofa Platz
nehmen sollten. Er ging zu einer Teakholztür. »Ein Glas Wein?«
»Ein Bier wär' mir lieber«, sagte Giordino. Cabrillo goß eins
ein und reichte Giordino den Krug. »Ein philippinisches San
Miguel.« Dann gab er Pitt ein Weinglas, »Ein Wattle Creek
Chardonnay aus dem Alexander Valley in Kaliformen.«
»Sie haben einen hervorragenden Geschmack«, sagte Pitt
anerkennend. »Ich habe das Gefühl, das gilt auch für Ihre
Küche.«
Cabrillo lächelte. »Meine Küchenchefin habe ich einem
noblen Restaurant in Brüssel abgeworben. Falls Sie vor lauter
Weitere Kostenlose Bücher