Hoellenglanz
kalten Luft hängen.
»Das kannst du wirklich nicht leiden, was? Wir sollten Buch führen, wer öfter recht hat – du oder ich.«
Er verdrehte die Augen.
»Eher nicht, was? Du würdest es einfach nicht ertragen, wenn ich dich schlage. Aber dieses Mal hab ich wirklich recht. Dein Körper weiß, wie man sich als Wolf bewegt. Du musst einfach das Hirn abschalten und die Muskeln ihre Arbeit machen lassen.«
Er sprang auf mich los. Als ich mich nicht von der Stelle rührte, jagte er in einem weiten Kreis um mich herum, wurde schneller und schneller, bis er nur noch ein verschwommener Fleck aus schwarzem Pelz war. Und ich lachte. Ich konnte einfach nicht anders. Es sah so … unglaublich aus. Eine andere Gestalt annehmen zu können. Die Welt von ihr aus zu erleben. Ich freute mich für ihn. Irgendwann zog er die Bremsen an und kam schlingernd zum Stehen. Jedes Bein schien in eine andere Richtung wegzurutschen.
»Bei dem Teil brauchst du noch etwas Übung«, sagte ich.
Er knurrte und fügte dem ein Kopfschütteln hinzu, das ich zunächst nicht deuten konnte. Dann kam er wieder auf die Beine, die Nase hob sich in den Wind, die Ohren drehten sich nach vorn.
»Kommt jemand?«, flüsterte ich.
Er knurrte.
Pssst, ich horche.
Ich horchte ebenfalls, gab mir alle Mühe, zu hören, was er hörte. Dann kam ein Geräusch, für das ich kein Werwolfgehör brauchte – ein langes, unheimliches Heulen. Der Pelz auf Dereks Rücken stellte sich auf und fügte seinem ohnehin schon gigantischen Umriss noch ein paar Zentimeter hinzu.
»Hund?«, flüsterte ich. Aber ich hatte im Leben genug Hunde gehört, um zu wissen, dass dies keiner war.
Derek sprang mit einem Satz hinter mich und stieß mich in die Kniekehlen.
Renn.
Ich stürzte zum Waldweg hinüber. Derek blieb hinter mir. Der Aufschlag seiner Pfoten war kaum zu hören, und mir wurde schließlich klar, warum er sich immer so lautlos bewegte. Raubtierinstinkt. Ein Instinkt – und eine Begabung –, die mir vollkommen abgingen, und als wir rannten, wurde es leider sehr deutlich.
Ich besaß vielleicht die Hälfte von Dereks Masse, aber ich war diejenige, die sich anhörte, als pflügte ein zweihundert Pfund schweres Ungetüm durch den Wald. Mein Atem klang wie das Schnaufen einer Lokomotive. Meine Füße traten unfehlbar auf jeden Stock auf dem Waldboden, und jeder davon zerbrach mit einem Geräusch, das einem Gewehrschuss ähnelte. Ich versuchte, leiser zu sein, aber das bedeutete langsamer. Als ich das Tempo zu drosseln versuchte, stieß Derek mich von hinten an, teilte mir mit, ich sollte mich nicht drum kümmern, sollte einfach in Bewegung bleiben.
Ich sah die Lichter des Hauses vor mir. Dann kam von irgendwo zwischen uns und dem Licht ein ohrenbetäubender Pfiff. Ich blieb abrupt stehen. Hinter mir tat Derek dasselbe, allerdings endete es bei ihm in einem Rutschen, das mich auf die Knie warf.
Er grunzte entschuldigend. Als ich aufstand, hatte er sich bereits wieder gefangen und war vor mir, die Schnauze in den Wind gehoben. Aber der Wind kam von der Seite, und er verlagerte das Gewicht hin und her, während er versuchte, den Geruch desjenigen aufzufangen, der da gepfiffen hatte. Als er es schließlich tat, verspannte sich sein ganzer Körper, seine Ohren legten sich nach hinten, ein Knurren drang aus seiner Kehle. Dann fuhr er herum und wäre beinahe gegen mich geprallt.
»Wer …?«
Er antwortete nur mit einem Schnappen, bei dem er den Saum meiner Jacke erwischte.
Renn einfach.
Und ich tat es.
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21
V or was rannten wir weg? Ich hatte genug Horrorfilme gesehen, um zu wissen, dass das Heulen von einem Wolf gestammt hatte, und im Staat New York gab es keine wilden Wölfe mehr. Es mussten also Werwölfe sein.
Liam und Ramon, die beiden, die vor ein paar Tagen versucht hatten, an Derek heranzukommen, hatten gesagt, der gesamte Bundesstaat sei das Territorium des Rudels, das ortsfremde Werwölfe jagte und umbrachte. Sehr gründlich waren sie dabei offensichtlich nicht, schließlich hatte Derek den größten Teil seines Lebens hier verbracht. Aber hatten sie ihn jetzt vielleicht doch noch aufgespürt?
Und wenn es nicht das Rudel war, wer hatte dann gepfiffen? Andrew hatte gesagt, die Edison Group stelle keine Werwölfe ein. Hatte er sich geirrt? Wenn sie jemanden brauchten, der ihre verschwundenen Versuchsobjekte aufspürte, dann war ein Werwolf doch sicher der beste paranormale Bluthund, den es gab?
Aber im Moment war das egal. Derek wusste, wer da gepfiffen
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