Hoellenglanz
gefunden hatte. Ich legte den Schalter um. Nichts.
Ich schlug mir mit der Lampe gegen das Knie, aber sie blieb aus. Ich blinzelte ein paarmal, und allmählich konnte ich ringsum die kauernden Umrisse der Büsche und die knorrigen Baumstämme erkennen.
»Angst vor der Dunkelheit?«, flüsterte eine Stimme.
Ich versetzte der Lampe einen weiteren Schlag, fester. Immer noch nichts.
»Das ist eine hübsche rote Jacke, die du da anhast. Wie Rotkäppchen, ganz allein im tiefen, dunklen Wald. Wo ist denn dein großer, böser Wolf geblieben?«
Ein kalter Schauer ging durch mich hindurch. »Royce.«
»Kluges Mädchen. Nur schade, dass du nicht klug genug bist, um zu wissen, was kleinen Mädchen nachts im Wald alles passieren kann.«
Ich erinnerte mich an das Nachbild, das ich bei dem Autobahnrasthof gesehen hatte, das blutig geschlagene Mädchen, das durchs Unterholz kroch, verzweifelt versuchte, dem Angreifer zu entkommen – und er hatte ihr die Kehle durchgeschnitten, sie im Wald verbluten lassen und dort begraben.
Royce lachte, ein tiefes, sattes, vergnügtes Lachen. Er hatte seinen Spaß an meiner Angst. Sog sie geradezu auf. Ich schluckte sie hinunter, schob die Taschenlampe in die Jackentasche und setzte mich wieder in Bewegung.
»Weißt du, wem die Jacke gehört, die du da anhast? Das war Austins. Seine Skijacke. In der Farbe von Blut. Passt, findest du nicht auch? Er ist ganz in Rot gestorben. Blut und Hirn und kleine Knochenstückchen.«
Ich ging schneller.
»Als ich dich hab kommen sehen, habe ich einen Moment lang gedacht, du wärst Austin. Aber du siehst ihm nicht ähnlich. Absolut nicht. Du bist ein hübsches kleines Mädchen, weißt du das eigentlich?«
Ich versuchte, seine Stimme auszusperren, mich stattdessen auf das dumpfe Geräusch meiner Schritte zu konzentrieren, aber sie klangen jetzt leiser, und etwas anderes gab es nicht, nur den dunklen, schweigenden Wald und Royce’ Stimme. Er hatte inzwischen Gestalt angenommen und ging neben mir her. Ich spürte die Gänsehaut, die sich über meinen ganzen Körper ausgebreitet hatte, und kämpfte gegen das Bedürfnis an, mir die Arme zu reiben.
»Ich mag hübsche Mädchen«, sagte er. »Und sie mögen mich. Man muss einfach wissen, wie man mit ihnen umzugehen hat.« In der Dunkelheit sah ich sein Grinsen aufleuchten. »Würdest du gern eine von ihnen kennenlernen? Sie ist gar nicht weit weg. Schläft in einem Bett aus Blättern und Dreck. Du kannst sie aufwecken, ihr könntet euch nett unterhalten, so von Mädchen zu Mädchen, sie kann dir erzählen, was ich gemacht habe.« Er beugte sich zu mir herüber und flüsterte mir ins Ohr: »Oder soll ich’s dir lieber erzählen?«
Ich stolperte, und er lachte. Ich sah mich um, versuchte mich zu orientieren, aber ich sah nichts als den endlosen schwarzen Wald. Etwas huschte vor mir über den Pfad. Royce lachte wieder.
»Ganz schön schreckhaft, was? Das ist aber nicht gut für eine Nekromantin. Deine Nerven werden ruiniert sein, lang bevor der Wahnsinn dich erwischt.«
Ich ging weiter.
»Haben sie dich über den Nekromantenwahnsinn aufgeklärt?«
»Ja, dein Onkel hat davon geredet, dass wir alle so wahnsinnig enden würden wir du.« Beim Klang meiner eigenen Stimme wurde mein hämmerndes Herz etwas ruhiger.
»Ich? Ich bin nicht verrückt. Ich mag es nur, anderen weh zu tun. War schon immer so. Onkel Todd wollte es einfach nur nicht wahrhaben. Hat sich eingeredet, Austins Hündchen hätte einen Unfall gehabt und die Nachbarskatzen wären von Kojoten gerissen worden … du weißt ja, wie Erwachsene sind.«
Ich ging schneller. Er hielt neben mir Schritt.
»Mit Wahnsinn hab ich den Nekromantenfluch gemeint. Davon haben sie dir doch sicher erzählt, oder? Na ja, vielleicht hatten sie auch Angst, denn du bist ja so ein zerbrechliches kleines Ding.«
Ich sagte nichts.
»Weißt du, wenn Nekromanten ein Leben lang Geister gesehen haben …«
»Interessiert mich nicht.«
»Unterbrich mich nicht.« Seine Stimme wurde schlagartig eiskalt.
»Ich weiß Bescheid über den Wahnsinn«, log ich, »du brauchst mir nichts zu erzählen.«
»In Ordnung, dann reden wir doch über das Mädchen. Willst du wissen, was mit ihr passiert ist?«
Ich bog nach links ab.
»Versuchst du etwa, mich abzuschütteln?« Der schneidend kalte Ton war in seine Stimme zurückgekehrt.
Ich schaffte es drei Schritte weit, bevor mich etwas seitlich am Kopf traf. Ich taumelte. Ein großer Stein prallte vom Erdboden ab und rollte mir vor
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