Höllenherz / Roman
essen, wie bei einem Löwenrudel, in dem das Leittier bestimmte, wer etwas abbekam und wer nicht.
Was Baines betraf, war ihm nicht erlaubt worden, sich hier hinzusetzen. Anscheinend nahm er sich einfach den Platz, den er wollte. Auf seine Weise war auch er ein Alpha.
»Setzen Sie sich!«, befahl er. Für eine Mikrosekunde sah er Talia in die Augen und gleich wieder weg. Trotz seines selbstsicheren Gebarens war er auf der Hut vor ihren Vampirfähigkeiten. Sie war ein zu junger Vampir, als dass sie jemanden hätte hypnotisieren können, aber das wusste er ja nicht.
Talia setzte sich. Sie war stärker und schneller, und dennoch war ihr unwohl. Baines’ Selbstvertrauen stellte eine ganz eigene Waffe dar. Das einzig Beruhigende war die Unterhaltung, die sie belauscht hatte, als sie Michelles Leiche abtransportierten. Baines war sehr viel weniger voreingenommen gewesen als seine Kollegen.
»Es ist mutig von Ihnen, allein nach Spookytown zu kommen«, äußerte sie.
»Woher wissen Sie, dass ich keine Verstärkung habe?« Wie zum Beweis holte er seine Waffe hervor und legte sie auf den Tisch, wo er die Hand auf dem silberbeschlagenen Knauf ließ. Silber, um zu zeigen, dass er mit Munition gegen Vampire ausgerüstet war.
»Ich habe bloß geraten. Es ist zu kalt, um jemanden draußen stehen zu lassen, und ich bezweifle, dass allzu viele Menschen gern mitten in der Nacht im Monsterviertel auf der Straße stehen. Es sei denn, sie haben ein SWAT -Team in der Nähe.«
Er lachte leise. »Sie sind eine kluge Frau.«
»Reine Logik. Was wollen Sie?«
»Ich dachte, wenn ich Sie allein erwische, reden Sie am ehesten mit mir.«
»Ist das nicht ein bisschen naiv?«
»Kommt darauf an, ob Sie meine Fragen beantworten.« Er lehnte sich zurück, vollkommen gelassen – sah man von der Waffe ab. »Das ist im Moment alles, was ich will.«
»Bekomme ich einen Anwalt?«
»Nein. Das Gesetz sieht keine Pflichtverteidigung für Nichtmenschliche vor, zumindest noch nicht. Haben Sie Ihre Cousine umgebracht?«
Die Frage hatte sie kommen sehen, nur nicht so früh erwartet. »Nein.«
»Warum sollte ich Ihnen glauben?«
»Es gibt Beweise, dass ich zur Tatzeit nicht dort gewesen sein kann. Ich war zu spät zu Hause.«
»Was für Beweise?«
»Die hat Perry Baker.« Im selben Moment wurde Talia klar, dass es sich um illegale Überwachungsbänder handelte, sie also Perry in Schwierigkeiten bringen könnte. Das Schlimmste aber war, dass Perry es womöglich gar nicht mehr erfuhr.
»Baker liegt bewusstlos im Krankenhaus und flirtet mit einem fatalen Organversagen. Wo sind diese Beweise? Und was für welche sind das?«
Talia schüttelte den Kopf. »Wenn ich Ihnen das sage, schicken Sie Ihre Männer hin, um sie zu holen. Ich weiß, was die von Nichtmenschlichen halten. Sie erschießen uns gern, sobald sie uns sehen. Erwarten Sie von mir, dass ich auf das Wohlwollen und die Professionalität Ihrer Kollegen vertraue?«
Baines betrachtete sie nachdenklich. Sein Herz schlug schnell, aber regelmäßig, was bedeutete, dass er auf der Hut war, jedoch keine Angst hatte.
Talia nahm die Teekanne auf. »Möchten Sie?«
»Nein danke.«
Sie goss sich nach. Zwar wollte sie keinen Tee, doch sie war entschlossen, genauso cool und gefasst zu erscheinen wie der Detective.
Baines räusperte sich. »Sie wollen also Garantien?«
»Ich will eine faire Chance.« Talia dachte vollkommen klar, ungerührt. Dieselbe Distanziertheit nahm sie ein, wenn sie einen schwierigen Schuss ausführen musste oder versuchte, einem Kurs etwas Kompliziertes zu erklären. Sie sah alles vor sich, erkannte, wie welche Entscheidung das Muster dessen veränderte, was als Nächstes geschah.
Baines beobachtete sie regungslos. »Und wie sieht Ihre faire Chance aus?«
»Wenn Sie meine Bedingungen akzeptieren, tue ich mein Bestes, um Ihnen die Beweise zu bringen, damit Ihre Abteilung mich vergisst und den wahren Mörder sucht. Wenn Sie nicht wollen, können Sie gleich wieder gehen, aber allein. Sollten Sie versuchen, mich mitzunehmen, kommen Sie hier nicht lebend raus. Ich möchte nicht unhöflich erscheinen, doch Sie haben mich in die Enge getrieben.«
»Wer ist der wahre Mörder?«
»Belenos, König des Ostens.«
»Ihr früherer Meister?«
»Es deutet einiges darauf hin.« Perry hatte ein Überwachungsband entdeckt, auf dem Belenos zu sehen war. Er hatte es in der Universität bei sich gehabt. Es war gut möglich, dass auch das Band von ihr aus der Verkehrskamera in seinem Büro
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