Höllenherz / Roman
Verwandlung nicht alles verloren war. Sie hatte Talia geholfen, die verworrenen Fäden ihres wahren Ichs aus dem verwundeten Knäuel zu entwirren, zu dem sie sich entwickelt hatte. Wäre ihre Cousine nicht gewesen, hätte Talia nie wieder angefangen zu unterrichten.
Und sie war bloß eine von vielen gewesen, die Michelle geliebt hatten. Heute Nacht war ein Licht in der Welt erloschen.
Und es ist meine Schuld.
Talia schluchzte heftig. Es gab keine Chance, ihre Cousine zurückzuholen. Nicht einmal ein uralter Vampir konnte jemanden retten, dessen Körper so brutal zerstört war.
Talias Tränen flossen langsamer, weil ihr Kummer sich mit den letzten Gedanken in Furcht verwandelte.
Ich hätte diejenige sein sollen, die starb.
Ein Vampir hätte den Unterschied zwischen einem Menschen und einem Wesen seiner Art bemerkt. Was bedeutete, dass der Mord entweder einen Riesenfehler oder eine Warnung darstellte.
Wer will meinen Tod?
Talias Magen krampfte sich unter der eiskalten Angst zusammen, die sie überrollte. Da war ihr Erzeuger, der Grund hatte, sie zu hassen. Sie war seinen Klauen entkommen und hatte dabei gleich ein kleines Vermögen mitgehen lassen. Doch würde er Königin Omaras Zorn riskieren, indem er nach Fairview kam und hiesige Bürger köpfte? Eigentlich hatte Talia darauf gezählt, dass er es nicht wagte.
Dann war da noch Talias Familie.
Dad.
In seinen Augen stand sie auf einer Stufe mit einem tollwütigen Hund. Die Talia, die er aufgezogen hatte, war in dem Moment gestorben, in dem die Vampire sie zu einer der ihren machten. Sollte er sie erwischen, würde er sie skrupellos abschlachten.
Vernichte die Monster, ehe sie töten oder einen unschuldigen Menschen verderben!
Daran hatten bei ihr zu Hause, bei ihrem Stamm, alle geglaubt. Wer das Schlächtersymbol der gekreuzten Klingen sah, wusste, dass er es mit Monstertötungsmaschinen zu tun hatte, die von Geburt an auf diesen Job hin erzogen und gedrillt wurden.
Talia zog den rechten Ärmel ihres Pullis hoch. Zwei Schlächtersäbel, an den Heften gekreuzt, waren innen in ihren Unterarm tätowiert. Auf der bleichen Vampirhaut würden die feinen Details weder ausbleichen noch unscharf werden. Und entfernen könnte sie das verfluchte Mal erst recht nicht. Alles, was sie trug, egal wie modisch, müsste stets langärmelig sein. Bis in alle Ewigkeit.
Sie ballte eine Faust, so dass sich das Symbol auf ihrem Arm verschob. Sie war nie groß gewesen, allerdings immer gut im Umgang mit Feuerwaffen. Und risikofreudig bis hin zur Gedankenlosigkeit. Nichts hatte sie sehnlicher gewollt als die Anerkennung ihres Vaters, und mit sechzehn tötete sie erstmals. Einen Ghul. Die Tätowierung hatte ihr Dad ihr zur Belohnung gemacht.
Inzwischen war sie keine Belohnung mehr. Jeder kannte das Schlächtersymbol. Falls es ein Nichtmenschlicher sähe, würde sie umgehend in Stücke gerissen. Und natürlich war sie für die Schlächter jetzt eines der Monster, die sofort getötet werden mussten. Das Untotendasein entbehrte nicht einer gewissen Ironie.
Talia zog den Ärmel wieder herunter. Was war sie? Schlächter? Monster? Lehrerin?
Gefangene.
Talia blinzelte, denn ihre Wuttränen und ihr Kummer legten einen Nebelschleier über alles. Das Kissen an ihrer Wange fühlte sich kühl an. Sie befand sich beinahe schon lange genug in diesem Zimmer, auf diesem Bett, dass es begann, stärker nach ihr als nach dem Höllenhund zu riechen.
Es roch nach Trauer.
Dann leg dir ein Rückgrat zu, verstanden!
Zitternd holte sie tief Luft und bemühte sich, hinreichend Zorn aufzubringen, um tätig zu werden. Ein Teil von ihr schrie sie an, sie sollte in den nächsten Bus springen und aus der Stadt fliehen. Ein anderer brüllte nach Rache.
So oder so, zuerst musste sie aus Lors Schlafzimmer kommen.
Was, wenn er entdeckt, dass ich eine Schlächterin war?
Dann gab es wahrscheinlich Vampirburger mit Extraketchup.
Niemand konnte sie retten, nur sie selbst. Edle Ritter auf weißen Rossen waren nichts als ein Mythos.
Ich bin kein Opfer!
Sie rollte sich auf den Rücken und blickte sich nach Fluchtmöglichkeiten um.
Zuerst brauchte sie ein Werkzeug, um die Handschellen aufzubrechen. Sie rutschte näher an den Nachtschrank heran und streckte sich so weit vor, wie sie konnte. Es gelang ihr, die Schublade aufzuziehen und den Inhalt zu ertasten. Leider gab es da nicht viel – nur einen Ratgeber über die Reparatur von Küchengeräten aus der Bücherei und eine Kaugummipackung. Sie schob die Schublade
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