Höllenherz / Roman
können!«
Mittwoch, 29. Dezember, 13 Uhr 30
Lors Wohnhaus
Talias Wut und Entschlossenheit waren frontal gegen die Wand gerast.
Sie versteckte sich im Treppenhaus, wo sie die Feuerschutztür gerade so weit geöffnet hatte, dass sie hindurchlinsen konnte. Vorsichtig hatte sie den breiten Riegel innen heruntergedrückt, damit sie ja kein Geräusch machte. Eigentlich hatte sie geglaubt, die Cops wären schon wieder abgefahren, aber da irrte sie. Immer noch suchte mindestens ein Dutzend von ihnen die Wohnung nach Spuren ab. Einige standen so nahe bei der Tür, dass Talia sie fast berühren konnte.
Wenn sie die Tür losließ, würde sie scheppernd ins Schloss fallen und Talia verraten. Ein Vampir konnte schneller laufen als menschliche Cops, aber sie war nicht sicher, wohin sie fliehen sollte. Ihre Papiere, ihr Geld, ihre Autoschlüssel und warme Kleidung befanden sich in der Wohnung. Dass es ihr gelungen war, aus Lors Schlafzimmer zu entkommen, hatte ihre Lage nicht sonderlich verbessert.
Sie konnte weder vor noch zurück, steckte fest und bekam eine Gänsehaut, weil die Anspannung an ihren sämtlichen Muskeln zerrte.
Ein Uniformierter kam aus der Wohnung und sprach einen Mann an, der ein Detective sein musste. Dieser wiederum redete mit jemandem, auf dessen Jacke Schneeflocken schmolzen.
»Diese durchgeknallten Vampire!« Der Uniformierte steckte eine Kamera in seine Umhängetasche. »Das ist mal ein Blutbad, was?«
»Du solltest erst mal sehen, was Werwölfe anrichten«, gab der Mann mit der verschneiten Jacke zurück. »An so einem Tatort musste ich mal die Überreste mit einem Industriestaubsauger aufnehmen.«
Der Detective schnaubte. »Was für eine nette Vorstellung, Bob! Daran denke ich, wenn ich nächstes Mal Chili esse.«
»Gern geschehen, Baines.«
»Das ist nicht witzig!«, raunzte der mit der Kamera. »Das da drinnen ist verdammt noch mal nicht witzig, Sir!« Dabei bedachte er Baines mit einem finsteren Blick.
Der Detective sah ihn mitfühlend an. »Nein, Mord ist nie witzig.«
Bob brüllte in die Wohnung: »Seid ihr allmählich mal fertig, dass ich die Trage bringen kann?«
Erst jetzt begriff Talia, dass Bob ein Sanitäter sein musste. Oder ein Mitarbeiter der Pathologie. Er war hier, um Michelles Leiche zu holen.
»Ist gleich so weit!«, antwortete jemand von drinnen.
Nein!
Talia hatte sich noch nicht verabschiedet.
Ich bin noch nicht so weit. Ich hatte gar keine Zeit, von ihr Abschied zu nehmen.
Der Uniformierte schimpfte weiter. »Es wird immer schlimmer. Früher kannten wir so was gar nicht, bevor die Monster aufkreuzten und anfingen, auf nett und normal zu machen. Ihre normale Kleidung, die Jobs und die Häuser sind doch nichts als Fassade!«
Bob murmelte zustimmend.
»Die Nichtmenschlichen werden nicht mir nichts, dir nichts wieder verschwinden«, sagte Baines. »Wir wissen jetzt, dass sie existieren.«
Bob verschränkte die Arme. »Dann müssen wir sie umbringen. Ganz einfach.«
Talia erschauderte so stark, dass ihre Hand an dem breiten Riegel zuckte. Es klapperte ein klein wenig, so dass ihr stummes Herz einen ängstlichen Schlag tat.
»Wow, Bob!« Baines hob beide Hände. »Ganz langsam, ja? Ernsthaft, ist das hier schlimmer als irgendein menschlicher Mord?«
»Klar, denn der ist ein fairer Kampf. Die Monster sind viel zu stark für einen von uns.«
Das stimmte. Ganz abgesehen von der Kraft der Untoten – welche Chance hatte ein Mensch gegen den animalischen Hunger eines Vampirs?
Unser Blutdurst ist ein wildes, egoistisches Monster.
Andere töten, um ihn zu stillen? Für Vampire war es so natürlich wie das Atmen für Sterbliche. Vom ersten Moment an, als Talia in jener Nacht aufgewacht war, hatte sie begriffen, wie wenig Skrupel ausrichten konnten. Unter der papierdünnen Schicht von Vernunft lauerte ihr bestialisches Ich.
»Okay, Bob!«, rief jemand aus der Wohnung. »Du kannst sie holen.«
»Wart’s nur ab, bis die sich auch noch wählen lassen!«, sagte der Sanitäter in warnendem Tonfall. »Die werden unsere eigenen Gesetze gegen uns anwenden, und dann kapieren sogar Monsterfans wie du, dass wir total hilflos sind.«
Baines runzelte die Stirn. »Teils bin ich versucht, dir zu glauben, nur sehe ich keine Beweise, die deine Einstellung rechtfertigen.«
Der Sanitäter lachte verächtlich. »Warte, bis ich den zerstückelten Körper rausbringe, und guck dir den Beweis genau an!« Mit diesen Worten holte er die Trage, die ein Stück entfernt stand, und schob sie in
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