Höllenherz / Roman
rührte sich nicht; sie war ganz und gar auf seinen nächsten Schritt konzentriert, so dass sie nicht einmal atmete. Es war, als sähe er eine Statue an – eine wunderschöne Statue.
Sie steckten in einer Sackgasse, waren sie doch beide zu stur, um nachzugeben.
Ich kann sie zwingen.
Und das meinte er in jeder erdenklichen Hinsicht: ihm nachzugeben, seine Fragen zu beantworten, unter ihm zu liegen, während er sie nahm. Er war stärker. Am Ende würde rohe Gewalt siegen, nur wäre das ein Triumph, den er niemals genießen könnte.
Zunächst einmal musste er erreichen, dass sie ihm die ganze Wahrheit sagte.
Eine Methode bestünde darin, sie zu übertölpeln, damit sie versehentlich etwas preisgab, was sie auf direkte Fragen hin nicht verraten würde.
Aber wie? Sie reagierte anders auf ihn als normale Weibchen. Vielleicht fühlten Vampire sich nicht zu Höllenhunden hingezogen. Er wusste, dass er sie nicht begehren durfte. Leider musste er sich im Zwei-Minuten-Takt daran erinnern.
Er sollte die Situation in den Griff bekommen.
Oder auch nicht.
Oder vielleicht sie in den Griff bekommen? Lor küsste Talia.
Ein leiser überraschter Schrei entfuhr ihr, doch sonst bewegte sie keinen einzigen Muskel. Lediglich ein leichtes Zittern verriet ihm, dass sie sich überhaupt seiner Anwesenheit bewusst war.
Ihr Haar glitt weich und glatt über seine Wange. Ihre Lippen waren kühl und schmeckten nach den Kosmetika, die sie aufgetragen hatte. Darunter fühlte er den Druck ihrer Zähne, vor allem der spitzen Eckzähne.
Vorsicht vor denen!
Das Gift konnte einen Halbdämon nicht süchtig machen, aber ein Biss würde ihn ziemlich benebeln.
Dies hier war das Gefährlichste, was man sich unter Küssen vorstellen konnte. Und es erregte ihn umso mehr.
Er knabberte zärtlich erst an der einen, dann an der anderen Lippe und stellte fest, dass ihr wohlgerundeter Mund seinen schönsten Phantasien entsprungen schien. Ihre zögerliche Reaktion war ein untrügliches Zeichen. Er hatte sie tatsächlich überrascht.
Dann spürte er, wie ihre Hände seine Arme hinaufglitten, so leicht, dass es sich wie die Berührung eines Flügels anfühlte. Ah, sie war unendlich süß! Der Kuss hatte etwas von einem Entdecken und Wiedererkennen, als hätte er irgendwie vorausgeahnt, wie gut er wäre.
Er drängte nicht weiter, gab ihre Lippen jedoch erst wieder frei, als er diesen Moment des Besitzens vollständig ausgekostet hatte.
Kaum löste er seinen Mund von ihrem, rang Talia nach Luft, und ihre Wangen röteten sich. »Ich dachte, du treibst es nicht mit Toten.«
Er wich zurück. Jeder Nerv in seinem Körper vibrierte von der Wucht des Genusses, sie zu schmecken. Er war nicht sicher, ob er nicht doch etwas von ihrem orgasmenstärkenden Gift aufgenommen hatte.
Mögen die Propheten mir gnädig sein!
Sie war köstlich.
Er grinste. »Das war kein Treiben, sondern ein Friedensangebot.«
»Ach ja?« Sie ballte die Faust, als wollte sie ihn schlagen.
»Ein Kuss anstelle von noch mehr Streit.«
Sie musterte ihn auf eine neue Weise, die seine Haut erhitzte. Für einen Moment fühlte er die Anziehung zwischen ihnen wie ein physisches Ziehen, und er vermutete, dass sie es genauso deutlich empfand.
Der Moment dauerte nicht lange. Ihre Mundwinkel bogen sich nach unten. »Glaubst du, ein Kuss bringt mich dazu, alles zu gestehen?«
Lor runzelte die Stirn, denn ihre Unterstellung schmerzte ihn, weil sie wahr war. »Die Cops wollen dich wegen Mordes drankriegen. Dein Meister will dich bestrafen. Ich versuche, dir zu helfen. Also wirf mir mal einen Knochen hin!«
Ihr Blick war von einer solch abgrundtiefen Verachtung, dass er Lor bis ins Mark fuhr. »Erst kettest du mich an dein Bett, und jetzt willst du mein Freund sein?«
»Du hast bei dem Kuss dasselbe empfunden wie ich«, knurrte er.
»Als ich noch menschlich war, habe ich auch Lebensmittelvergiftungen und entzündete Zahnwurzeln gespürt. Wir können uns nicht immer aussuchen, was wir fühlen.«
Lor knurrte.
»Hundesabber, wie super!« Sie wischte sich den Mund ab, atmete tief ein und setzte sich wieder auf die Bettkante. Lor blieb vor ihr stehen. Talia schwankte ein bisschen und sah müde aus, aber dann nahm sie sich zusammen und setzte eine sehr strenge Miene auf. »In den letzten Stunden war ich beim nachweihnachtlichen Ausverkauf, musste sehen, dass der einzige Mensch, der mir lieb und teuer war, grausam ermordet wurde, bin angekettet worden, entkam und wurde wieder gefangen genommen. Lass mich
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