Höllenherz / Roman
›sei gebunden‹.«
»Und warum schreibt jemand das?«
»Ich habe keine Ahnung. Es klingt unheimlich.« Sie schien die Wahrheit zu sagen.
Eventuell passte es zu seiner Theorie von der Geisterbeschwörung, doch darüber wollte er zuerst mit Perry reden, bevor er etwas sagte. »Was hast du gemacht, ehe du nach Hause gekommen bist?«
»Ich war shoppen. Was soll die Frage? Brauche ich ein Alibi? Ich habe Quittungen.«
Eine Träne stahl sich aus ihrem Auge und malte eine hellrosa Spur auf ihre Wange. Unwillkürlich streckte Lor die Hand aus und wischte sie mit seinem Daumen fort. Ihre Haut fühlte sich seidenweich an und war beinahe weiß, verglichen mit seiner sonnengebräunten. Mit großen Augen blickte sie zu ihm auf. Sie sah so verwundbar wie eines dieser zarten Gänseblümchen in den Pflasterspalten aus: Durch Zufall wuchsen sie dort, und meist wurden sie zufällig zerstört.
Er trat einen Schritt zurück, auch wenn er sich dafür hasste. »Warum ist dein Meister hinter dir her?«
»Weil ich weggelaufen bin. Ist das nicht offensichtlich?« Das Flackern in ihren Augen verriet ihm, dass sie nur die halbe Wahrheit sagte.
»Woher kommst du?«
»Von weit weg.« Sie setzte sich auf die Bettkante, als wäre sie plötzlich erschöpft.
»Wenn du auf der Liste der Abtrünnigen stehst, kann ich leicht herausfinden, wer dein Meister ist.«
»Falls du die Cops fragst, werden sie wissen wollen, warum. Dann müsstest du mich ausliefern.« Sie schaute kurz zu ihm. »Bist du wirklich bereit, das zu tun?«
Lor biss die Zähne zusammen. »Warum bist du nach Fairview gekommen? Wieso bist du nicht irgendwo anders hingegangen?«
»Michelle war hier. Außerdem leben hier sehr viele Übernatürliche.«
»Das macht es leichter, sich zu verstecken.«
»Ja.«
So weit ergab alles einen Sinn. »Wo hast du gelernt, so zu kämpfen?«
Sie verkniff ihren Mund. »Warum interessiert dich das?«
Der Wunsch, sie noch einmal zu berühren, machte ihn zappelig und ungeduldig. »Überleg mal! Falls jemand dich umbringen will, ist es hilfreich, den Grund zu kennen.«
Sie hielt beide Hände in die Höhe. »Ich weiß es nicht! Ich bin bloß eine Lehrerin. Und was das Verhör angeht, bist du ungefähr so subtil wie ein Troll.«
»Warum bist du von deinem Meister weggelaufen?«
Diesmal bekam er eine Reaktion auf seine Frage. Talia sprang auf, und in ihren Augen funkelte ein Zorn, dass Lor um ein Haar zurückgewichen wäre, was er selbstverständlich nicht tat.
»Mein Meister war zudringlich.« Talia sprach so leise, dass Lor sich anstrengen musste, sie zu verstehen. »Und, falls du es noch nicht weißt, Zudringlichkeit kitzelt das Schlimmste in anderen hervor.«
Lor griff nach dem Bettpfosten. Er sehnte sich danach, seine Lippen an ihren zarten Hals zu pressen. Oder sie vielleicht zu erwürgen. Er durfte nicht nach ihr verlangen, und dennoch trieb sie ihn in den Wahnsinn. »Wer wandelt eine Lehrerin zum Vampir?«
Ihr Mund bebte. »Ein anderer Vampir. Daran war nichts Außergewöhnliches.«
Das
war eine Lüge. Lor konnte sie riechen. »Wir kommen kein Stück weiter, wenn du nicht ehrlich bist.«
Sie betrachtete ihn mit ihren goldenen Habichtaugen. Eines musste er ihr lassen: Sie war so kühl wie die Schneedecke, die sich draußen über alles legte. Sie belog ihn, sie trotzte ihm, und sie war seiner Gefangenschaft entkommen. Und er war ein Alpha. Noch niemand hatte es bisher gewagt, seine Autorität derart dreist zu untergraben.
Diese Frau ist pures Chaos.
Ein Knurren stieg in seiner Kehle auf und erfüllte das Zimmer. Er war angespannt und sein Jagdinstinkt in Alarmbereitschaft.
Angst. Beute.
Talia riss die Augen weit auf. Immerhin unterschätzte sie die Gefahr nicht, die von ihm ausging.
Er schritt auf sie zu, bis nur noch Zentimeter sie trennten. Anders, als er erwartet hatte, schrak sie nicht zurück. Was sie gesollt hätte. Weibchen kuschten vor dem dominanten Männchen.
Das war schlecht. So nahe war er sich ihrer viel zu gewahr. Er durfte nicht riskieren, ihr noch näher zu kommen. Die winzigste Bewegung hätte genügt, dass sich ihre Gesichter berührten.
Einer von ihnen beiden musste zurückweichen.
Stattdessen streiften seine Finger ganz sachte ihre Hüften, hatten kaum Kontakt zu dem Jeansstoff. Dennoch kribbelten seine Handflächen sofort. Ihr Duft war köstlich, ihre Haut blütenzart und lilienweiß. Zum ersten Mal erkannte er wenige blasse Sommersprossen auf ihren Wangenknochen sowie die Textur ihrer Lippen. Talia
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