Höllenherz / Roman
begeben. »Bewachen ist unser Job.«
»Und ich habe in der Sache nichts zu sagen?« Sie blickte zu ihm auf. »Sieh mir nicht zu!«
Neugewandelte Vampire waren sehr zimperlich, was ihren Blutkonsum betraf. Doch Lor konnte sich keinen Fehler leisten. »Ich kehre dir nicht den Rücken zu. Du würdest mir sofort eins über den Schädel braten.«
»Räudiger Köter!« Sie nippte an dem Blut und verzog das Gesicht. »Bäh, ist das furchtbar!«
»Es ist ein bisschen alt.«
»Uärgs!«
Er wollte ihr das Glas abnehmen, doch sie winkte seine Hand weg. Mit geschlossenen Augen würgte sie das Blut bis zum letzten Tropfen hinunter. Dann reichte sie ihm das Glas, die Augen immer noch fest zugekniffen. Nachdem er es genommen hatte, klatschte sie sich ihre Hand auf den Mund. In ihrem Hals arbeitete es. Einen Moment lang fragte Lor sich, ob sie sich übergeben würde. Er bekam ein schlechtes Gewissen. »Nächstes Mal versuche ich, einen Freiwilligen zu finden.«
Sie holte tief Luft. »Nächstes Mal beiße ich einfach dich.«
Der Schlaf musste ihr gutgetan haben, dass sie ihn schon wieder beleidigen konnte. »Dämonenblut hat angeblich einen niedrigen Nährwert.«
Der Blick, mit dem sie ihn nun bedachte, hätte einen schüchternen Hund in die Knie gezwungen. Lor grinste. »Du musst bei Kräften bleiben.«
»Du bist ein Monster!«
»Genau wie du.«
Sie stieß auf. Wieder fürchtete er, dass ihr schlecht wurde, doch zu seiner Verwunderung fing sie an zu weinen, wobei sie kurze Miaulaute von sich gab.
Das war zu viel. Er stellte das leere Glas auf den Nachttisch und setzte sich neben sie aufs Bett. Als er eine Hand auf ihren Kopf legte, fühlte er ihr seidiges Haar. Sie versteifte sich merklich und hielt sich den Arm vor den Bauch.
»Ich habe nicht darum gebeten, eines zu werden«, murmelte sie.
»Tut mir leid.« Lor streichelte ihr Haar, verunsichert von ihrem stummen, wütenden Weinen. Es waren gleichermaßen Zornes- wie Kummertränen, und sie biss die Zähne zusammen. »Ich tue alles, was ich kann, um herauszufinden, wer deine Cousine ermordet hat.«
Als sie nicht von ihm wich, schlang er einen Arm um ihre Schultern. Nach den Maßstäben eines Höllenhundes war Talia klein, aber dadurch passte sie gut in seine Umarmung. Sie war so dünn, dass er die Bewegungen ihrer Knochen spürte. Und ihre tiefe Traurigkeit weckte Erinnerungen an seinen eigenen Kummer. Trauer unterschied nicht zwischen verschiedenen Spezies.
Langsam, sehr langsam beruhigte Talia sich wieder. »Du bist warm«, flüsterte sie.
Lor zog sie näher an sich. Vampiren war immer kalt, und er besaß genügend Hitze, um welche abzugeben. Ihr Parfum war größtenteils verflogen, so dass er nun deutlich ihren einzigartigen Duft wahrnahm und ihn sich einprägte. Er roch vertraut, wie eine hübsche Melodie, die er vergessen hatte und in einem überraschenden Moment wieder hörte. Mit geschlossenen Augen konzentrierte er sich auf das Gefühl ihres Körpers an seinem. Es fühlte sich so richtig an.
Was falsch war. Er war der Alpha seines Rudels, und er sollte keine fremde Frau in den Armen halten. Leider merkte er, wie seine Beweggründe sekündlich verschwommener wurden und sein Verlangen, für Gerechtigkeit zu sorgen, mit einem gänzlich anderen rang.
Das ist also die verbotene Frucht.
»Was ist mit dir passiert?«, fragte Lor. »Wie konntest du in dieser Bredouille enden?«
Nun war es wieder an Talia, die Augen zu schließen, so dass Lor ihre fein geäderten Lider bewunderte, zart wie Mottenflügel. »Die Antwort hängt davon ab, wo du anfangen willst.«
»Am Anfang.«
»Als mein Bruder dreizehn wurde, hängte mein Vater ein Bild über Max’ Bett auf, das jeden Abend das Letzte sein sollte, was er vor dem Einschlafen sah. Es stellte einen Sukkubus dar, der seinen Geliebten bei lebendigem Leib auffrisst. Max bekam Alpträume von dem Bild, und soweit ich weiß, ist er bislang mit keiner Frau mehr als ein Mal ins Bett gegangen.«
Lors Magen drehte sich um. »Verstörend, aber wie hat dich das hierhergebracht?«
»Es verrät dir alles, was du über meine Herkunft wissen musst. Ansonsten habe ich immer nur versucht, zu begreifen, was mein Vater mit uns gemacht hat. Ich rede mir gern ein, dass ich kein Opfer bin, aber das ist manchmal schwer zu glauben. Mein Zuhause war wie ein Gefängnis, bloß verrückter.«
Sie verstummte, als strengte sie das Reden an. Lor ließ seinen Arm um sie, so dass er die Anspannung ihrer Muskeln fühlte. Obwohl sie an ihm lehnte,
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