Höllenherz / Roman
hatte, ging sie zur Kommode und sah die übrigen Sachen durch, die Lor ihr geholt hatte. Keine Papiere, keine Waffen, kein Geld. Papiere und Waffen dürfte die Polizei mitgenommen haben, und Lor wusste nichts von dem Bargeld unter den Schlafzimmerdielenbrettern. Vielleicht musste sie eine Weile warten, ehe sie in die Wohnung konnte, aber sie brauchte es unbedingt. Ohne Geld war ein Neuanfang an einem anderen Ort ausgeschlossen.
Talia durchsuchte die Kleidungsstücke nach einem kompletten Outfit. Die Auswahl war typisch für einen Mann: zur Hälfte praktische Dinge wie dicke Socken und schlichte T-Shirts, ihr Mantel und feste Stiefel, der Rest raffinierte Einzelstücke, wie sie in Männerphantasien vorkamen.
Wie peinlich!
Offenbar hatte er ihre Wäscheschublade gefunden. Schließlich entschied sie sich für Jeans und einen Pullover und ging duschen.
Auf dem Weg zum Bad hörte sie ein Rascheln und das leisen Murmeln des Fernsehers. Sie tapste barfuß ins Wohnzimmer. Eine Zeitung war auf dem Boden verstreut, und etwas, das wie ein ausgeweideter Toaster aussah, lag auf dem Couchtisch.
Lor saß zurückgelehnt auf der Couch, die Augen geschlossen. Er sah vollkommen erschöpft aus und gab leise Schnarchlaute von sich.
Talias Schritte hatten ihn nicht geweckt, was nicht verwunderlich war, denn alle Vampire bewegten sich lautlos.
Und sie verlor sich in seinem Anblick. Er war nicht schön wie Joe. Seine Züge waren eher klar und hart, mit kräftigen Knochen. Er hatte diese Art Gesicht, das mit dem Alter immer besser aussah. Talia fragte sich, wem er ähnelte, ob seiner Mutter oder seinem Vater. Von wem hatte er dieses angedeutete Kinngrübchen? Und wer hatte ihm die langen dunklen Wimpern vererbt?
Vor allem aber: Woher kam sein ausgeprägter Sinn für Fairness, der ihn veranlasste, eine Vampirin zu beschützen, weil sie unschuldig sein könnte? Ja, er hatte sie gefangen gehalten, doch er hatte ihr nichts getan, und er ließ sie schließlich frei. Talia war sich sehr wohl bewusst, dass es auch ganz anders hätte verlaufen können.
Leise trat sie einen Schritt näher an die Couch. Jener ominöse sechste Sinn, der die Höllenhunde zu guten Wächtern machte, musste sich gemeldet haben, denn Lor sprang von der Couch auf, ehe er richtig zu sich gekommen war.
Talia hob beide Hände in die Höhe. »Ganz ruhig! Ich bin’s.«
Er entspannte sich und atmete langsam aus. »Tut mir leid. Ich muss eingenickt sein. Den Tag habe ich beim Rudel verbracht und war fast die ganze letzte Nacht auf.«
»Schiebst du Doppelschichten?«
»Ja.« Er rieb sich die Augen und sank wieder auf die Couch. »Ich bin vorbeigekommen, um nach dem Rechten zu sehen.«
Um nach mir zu sehen.
Bei diesem Gedanken wurde Talia bescheuert warm ums Herz.
Lor fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht, als hätte er Mühe, wach zu werden. »Meine besten Hunde suchen nach Belenos; bisher leider ohne Erfolg. Das letzte Mal, dass er hier war, versteckte er sich direkt vor unserer Nase in der Burg. Das wird er wahrscheinlich nicht noch einmal versuchen, doch er hat sich sicher etwas ähnlich Schlaues ausgedacht.«
»Wir nehmen bloß an, dass er es ist.«
»Und deshalb habe ich noch nicht allgemein Alarm geschlagen. Ich will erst Beweise, ehe ich Panik auslöse.« Er blickte zu ihr auf. »Ich habe frisches Blut. Hältst du es damit noch ein oder zwei Stunden durch?«
»Mhm, prima, danke. Ich nehme gleich welches. Und danke, dass du meine Sachen geholt hast. Das war riskant, ähm, ich meine, es ist schon schlimm genug, dass du mich versteckst, aber du hast ein Polizeisiegel aufgebrochen, um mir meine Zahnbürste zu holen.«
Er schien eindeutig zufrieden mit sich. »Das Riskanteste war die Suche in deinem Wandschrank. Ich hätte von einer Schuhlawine erschlagen werden können.«
»Na ja, jede Frau braucht eine kleine Auswahl an Schuhen.« Sie setzte sich ans andere Ende der Couch und blickte zu dem stummgeschalteten Fernseher.
Scooby-Doo
lief. »Ist das dein Held?«
»Ich dachte, er inspiriert mich vielleicht bei meiner Detektivarbeit.«
Unweigerlich musste Talia lachen, worauf Lor grinste. Er hatte ein herrliches Lächeln, strahlend und schelmisch. Dann fiel ihr auf, wie groß er war. Er füllte ein Drittel der großen Couch vollständig aus, schien nur aus sehnigen Muskeln zu bestehen.
Ihr Mund wurde trocken, und ihre Handinnenflächen kribbelten. Sie winkelte die Beine an und setzte sich auf ihre Füße. Wie immer war ihr ein bisschen kalt.
Obwohl sie
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