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Höllenhund

Höllenhund

Titel: Höllenhund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herbert
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fortfahren; bis zur Morgendämmerung sind es noch ein paar Stunden.
    Meine Reise nach Edenbridge war lang, aber seltsamerweise kannte ich den Weg, als wäre ich ihn schon oft gegangen. Als die Ortschaft Tage zuvor auf dem Schrottplatz von Lenny erwähnt worden war, war damit allem Anschein nach ein Same in mein Bewusstsein gepflanzt worden, und es war ein Same, der plötzlich austrieb und gedieh. Ich wusste nicht genau, was die Ortschaft für mich bedeutete, ob dort etwa mein Zuhause war oder ob sie irgendeine andere Bedeutung hatte, aber ich wusste, dass ich dorthin musste, dass ich dort beginnen musste. Und was für eine andere Alternative hatte ich schon?
    Ich musste wenigstens eine Stunde lang gerannt sein und dabei mehr als einmal mit knapper Not dem Schicksal entronnen sein, vom gleichgültigen Verkehr überrollt zu werden, ehe ich schließlich einen Müllplatz erreichte, wo ich ganz für mich um meinen toten Freund trauern konnte. Ich kroch unter die Überreste eines Sofas, von dessen Polsterung schon der größte Teil verschwunden war, sank zu Boden und stützte meinen Kopf auf beide Vorderpfoten. Ich konnte immer noch dieses Rinnsal von Blut unter dem verrosteten Metall herausfließen sehen, konnte sehen, wie es eine kleine Pfütze auf der Erde bildete — ein Miniaturwirbel, der Rumbos Leben darstellte. Tiere können Leid genauso tief empfinden wie Menschen, vielleicht sogar noch intensiver; für sie ist die Möglichkeit, ihre Sorge auszudrücken, begrenzt, obwohl ihr natürlicher Optimismus es ihnen ermöglicht, sich schneller zu erholen — darin liegt der Unter-schied. Unglücklicherweise litt ich sowohl als Mensch wie auch als Tier, und das war eine schwere Last.
    Ich blieb bis weit in den Nachmittag hinein aufs neue voll Angst und Unruhe. Nur mein treuer Begleiter, der Hunger, veranlasste mich schließlich weiterzuziehen. Ich habe vergessen, wo ich mir das Essen beschaffte, so wie ich eine ganze Menge über jene lange Reise vergessen habe; aber ich weiß, dass ich aß und dann wieder weiterzog. Ich zog bei Nacht durch die Stadt, zog die leere Stille der Straßen vor, wo die Aktivität des Tages den nächtlichen Geschöpfen Platz machte. Ich begegnete vielen nächtlichen Geschöpfen — Katzen, anderen Hunden, Geistern (eine ganze Menge gab es davon auf den Straßen der Stadt) und fremdartigen Männern, die sich zwischen den Schatten bewegten, als würde das Licht oder der freie Raum ihren Körper verletzen — aber ich vermied es, mit irgendeinem von ihnen Verbindung aufzunehmen. Ich hatte ein Ziel und würde nicht zulassen, dass irgendetwas mich davon ablenkte.
    Durch Camberwell, Lewisham und Bromley zog ich, ruhte untertags aus, versteckte mich in leerstehenden Häusern, in Parks oder auf Müllkippen — irgendwo, wo keine suchenden Augen mich entdecken konnten. Ich aß nur wenig, weil ich kein Risiko eingehen wollte; du musst wissen, ich wollte nicht nach Hause geschickt werden, nicht jetzt, wo ich ein Ziel hatte. Ich war wieder furchtsam geworden, jetzt, wo Rumbo nicht mehr da war, um mich anzustacheln, mich zu tadeln, wenn ich feige war, mich zu bedrohen, wenn ich mich sträubte, und zu lachen, wenn ich ihn überraschte.
    Bald erreichte ich freies Land.
    Es streckte sich vor mir, grün und frisch unter den sanften Anfängen des Frühlings. Es war noch nicht richtiges Land, ich hatte gerade erst die Vorstädte von London hinter mir gelassen; aber nach all dem Schwarz, dem Grau, dem Braun und dem Rot und dem Grellen, das allem in der Stadt anhing, schien es, als hätte ich eine Sperre passiert, hinter der die Natur herrschte und wo menschlicher Einfluss nur eine Nebenrolle spielte. Ich hatte nicht länger Angst, untertags zu reisen.
    Die plötzliche Kraft wachsender Dinge rings um mich erfüllte mich mit Begeisterung. Frische grüne Schösslinge barsten aus der Erde, Knospen brachen auf Bäumen mit breiten Blättern auf. Überall regte es sich, überall wurde neues Leben geschaffen. Die Luft war wie Nektar, füllte meine Lungen, erfüllte meine Gliedmaßen mit prickelndem Leben. Das Grün und das Gelb waren neuer, belebender, und das Rot und das Orange glühten mit innerem Feuer, strahlten Wellen der Energie aus. Alles glitzerte, alles strahlte feucht. Alles war fest und lebendig, selbst die zartesten Blumen. Das verlieh mir neues Leben.
    Ich kroch durch eine Hecke, die entlang der Straße verlief, und ignorierte den kratzenden Protest der Dornen. Zwei aufgeschreckte Zaunkönige kreischten und

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