Höllenjagd
gemeinsame Zeit mit persönlicheren Dingen verbringen.
»Hast du gesehen, wohin er das Bankvermögen transferieren wollte?«
Sie schüttelte den Kopf. »Es waren nur die Summen eingetragen, nicht die Banken, an die sie gehen sollten.«
»Was glaubst du, was er im Tresorraum gemacht hat?«
»Ich könnte mir vorstellen, dass er die Barreserven eingepackt hat, um sie an eine Bank in der Stadt, in die sie gehen sollen, zu schicken.«
»Du bist eine sehr scharfsinnige Lady«, sagte er lächelnd. »Und wenn du an Jacobs und Margarets Stelle wärst, wo würdest du hingehen?«
»In Europa wären sie nirgendwo sicher«, antwortete sie, ohne zu zögern. »Die Banken auf dem Kontinent haben ein Abkommen mit den USA, illegales Vermögen einzufrieren. Aber es gibt eine Menge anderer Länder, wo sie ihr Geld verstecken und ein neues Imperium aufbauen könnten.«
»Was ist mit Mexiko?«, fragte Bell, der von Marions Intuition beeindruckt war.
Sie schüttelte den Kopf. »Margaret könnte niemals in Mexiko leben. Das Land ist für ihren Geschmack zu unterentwickelt. Buenos Aires in Argentinien ist eine Möglichkeit. Die Stadt ist sehr kosmopolitisch, doch keiner von beiden spricht auch nur ein Wort Spanisch.«
»Singapur, Hongkong, Shanghai«, schlug Bell vor. »Könnte eine dieser Städte interessant sein?«
»Australien oder Neuseeland vielleicht«, sagte sie nachdenklich. »Doch im Laufe der Jahre habe ich festgestellt, dass Jacob anders denkt als die meisten anderen Menschen.«
»Nach dem, was ich mit ihm erlebt habe, bin ich zu demselben Schluss gekommen«, sagte Bell.
Marion schwieg, während sie ihm eine weitere Portion Schmorfleisch, Kartoffeln und Gemüse auftat. »Warum schaltest du nicht ein bisschen ab und genießt die Früchte meiner Arbeit?«, schlug sie lächelnd vor.
»Verzeih mir«, sagte er aufrichtig. »Ich bin ein langweiliger Tischgeselle.«
»Ich hoffe, du magst Zitronenbaiser als Nachspeise.«
Er lachte. »Ich liebe Zitronenbaiser.«
»Gut für dich. Ich habe genug für eine kleine Armee gebacken.«
Sie beendeten den Hauptgang, und Isaac stand auf, um beim Tischabräumen zu helfen. Sie schubste ihn zurück auf seinen Stuhl.
»Was hast du vor?«, fragte sie.
Er sah aus wie ein kleiner Junge, der von seiner Mutter gemaßregelt wurde. »Ich wollte helfen.«
»Setz dich hin und trink deinen Wein«, befahl ihm Marion. »Gäste arbeiten bei mir nicht, vor allem keine männlichen.«
Er blickte sie durchtrieben an. »Und wenn ich kein Gast wäre?«
Sie wandte sich von ihm ab, weil sie befürchtete, man könnte ihr ihre Gefühle ansehen. »Dann würde ich dich einen tropfenden Wasserhahn, eine quietschende Türangel und ein gebrochenes Tischbein reparieren lassen.«
»Das könnte ich tun«, behauptete er. »Ich bin handwerklich sogar ziemlich geschickt.«
Ungläubig sah sie ihn an. »Der Sohn eines Bankiers - handwerklich geschickt?«
Er setzte eine beleidigte Miene auf. »Ich habe nicht nur in der Bank meines Vaters gearbeitet. Ich bin mit vierzehn von Zuhause weggelaufen und zum Zirkus Barnum und Bailey gegangen. Ich musste dabei helfen, die Zelte auf- und abzubauen, die Elefanten füttern und Reparaturen an den Zirkuswagen ausführen.« Er hielt inne, und ein trauriger Ausdruck huschte über sein Gesicht. »Nach acht Monaten hat mich mein Vater gefunden, nach Hause geschleift und wieder in die Schule geschickt.«
»Dann bist du also ein Akademiker.«
»Harvard. Phi Beta Kappa, in Wirtschaft.«
»Und intelligent«, fügte sie tief beeindruckt hinzu. Dann verstummte sie plötzlich, und ihr Gesicht nahm einen seltsamen Ausdruck an. Bell dachte, dass irgendetwas nicht stimmte. Er eilte zu ihr und legte einen Arm um sie.
»Fühlst du dich nicht gut?«
Sie blickte zu ihm auf und sah ihn aus korallengrünen Augen an. Sie schien mit den Gedanken weit weg zu sein. »Montreal!«, stieß sie auf einmal hervor.
»Was hast du gesagt?«
»Montreal... Jacob und Margaret wollen über die kanadische Grenze nach Montreal, wo er wieder eine Bank eröffnen kann.«
»Woher weißt du das?«, fragte Bell, verwirrt von Marions seltsamem Verhalten.
»Mir ist gerade wieder eingefallen, dass ich das Wort Montreal auf einem Notizblock neben dem Telefon gesehen habe«, erklärte sie. »Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen, dass es etwas bedeuten könnte, und hatte es wieder vergessen. Jetzt ergibt alles einen Sinn. Der letzte Ort, an dem die Gesetzeshüter Cromwell vermuten würden, ist Kanada. Dort können
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