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Höllenknecht

Höllenknecht

Titel: Höllenknecht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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und Kinn, während der andere mit offenem Mund schwatzte, hin und wieder mit dem Zeigefinger in seiner Mundhöhle herumstocherte und einmal sogar ein Stückchen Sehne oder so etwas Ähnliches ausspuckte. Angewidert sah Hella in eine andere Richtung und beobachtete ein kleines Mädchen mit dunklen Haaren, fremdländischem Aussehen und langen, bunten Röcken. Mit ausgestreckten Händen bettelte sie eine gutgekleidete Dame an, die von zwei Dienstbotinnen begleitet wurde. Die Dame warf hochmütig den Kopf in den Nacken, erteilte ihrer Zofe einen harschen Befehl und schenkte dem Mädchen keinerlei Beachtung. Ein Halbwüchsiger in einem Kittel, wie ihn die Bauern tragen, schlenderte pfeifend zwischen den Ständen umher, blieb hinter zwei Geschäftsmännern stehen, um kurz darauf imLaufschritt davonzueilen. Hella lachte. «Die Beutelschneider werden immer geschickter», sagte sie zu ihrer Mutter. «Eben habe ich einen beim Stehlen beobachtet, und seine Opfer haben noch immer nichts bemerkt.»
    «Heilige Hildegard», erwiderte Gustelies. «Gestohlen wird immer. Und während der Messe besonders dreist. Das weiß doch jedes Kind. Selbst schuld, wer sich beklauen lässt.» Sie schluckte ein letztes Mal und tupfte sich den Mund mit ihrem Schnupftuch ab. «Lass uns zuerst in die Buchgasse gehen», schlug Gustelies vor. «Ich habe dort etwas zu erledigen.»
    «Willst du ein Buch kaufen?», fragte Hella und sprach weiter, ohne eine Antwort abzuwarten. «Ich habe gehört, die Italiener haben zur Frühjahrsmesse Machiavellis Ausgabe von ‹Der Fürst› mitgebracht, und die hiesigen Drucker bieten jetzt die deutsche Ausgabe an.»
    «Ein Männerbuch», entschied Gustelies. «Nichts für unsereins.»
    «Na gut», erwiderte Hella friedlich. «Obwohl ich glaube, dass deine Freundin Jutta sehr wohl Gefallen daran hätte.»
    Gustelies kicherte. «Ich habe gehört, dass es ein neues Kräuterbuch geben soll. Da ist ein Mann, Otto Brunfels heißt er, der aus Kräutern eine Wissenschaft machen will, die er ‹Botanik› nennt.» Sie schüttelte den Kopf. «Typisch Mann. Erst mischen sie sich in Dinge ein, von denen sie nichts verstehen. Oder hast du jemals einen Mann getroffen, der sich mit Kräutern, Kochen und Küchendingen auskannte und kein Mönch war? Und dann machen sie sofort eine Wissenschaft daraus. Aus jedem Pupser werden gleich die Trompeten von Jericho. Nein, auch das Buch will ich nicht.»
    Hella kicherte und hakte sich bei ihrer Mutter unter. Gemeinsam verließen sie den Garküchenplatz. Sie schlenderten durch die Saalhofgasse und drängelten sich durch die Mainzer Gasse. «Sieh mal dort, die Dame», flüsterte Hella und deutete auf eine Frau im Gewand einer englischen Edelfrau. «Schau diesen Hut, der ausschaut wie ein Vogelhäuschen. Ist das darunter nicht ein Turban, wie ihn die Muselmanen tragen? Und dieses Kleid mit dem großen, zurückgeschlagenen Kragen aus Pelz! Und guck dir nur den Taillengürtel an. Ob das wohl Juwelen sind, die da blitzen?»
    Die Dame ging vorüber, aber Hella hatte sich noch nicht sattgesehen. Sie wandte den Kopf nach ihr und stieß prompt mit einem Messegast zusammen. «Excusez moi», sagte der Fremde und zog den großen Samthut, auf dem eine Feder wippte. «Isch bitte üm Verseiünk.» Dann hastete er weiter.
    Hella seufzte und strich ihren Rock glatt. Wie stolz war sie heute Morgen gewesen, als sie den Rahmen um die Hüften geschnallt hatte, der die buntgestickten Bahnen zur Geltung brachte. «Ganz nach neuester Mode», hatte der Schneider gesagt. Hella schaute noch einmal nach der englischen Dame und deren prächtigem Gewand, dem lustigen Hut. Unter ihrer Haube drückten die fest aufgerollten Zöpfe. Hella seufzte wieder und eilte ihrer Mutter hinterher. Rings um sich hörte sie ein vielstimmiges Sprachengewirr. Französisch und Italienisch waren ihr nicht fremd, hatte sie doch Latein gelernt.
    Auch an das Englische hatte sie sich mittlerweile gewöhnt, aber die Sprachen derer, die aus dem Osten kamen, fand sie nach wie vor verwunderlich. All diese Zisch- und Rachenlaute erinnerten sie eher an Geräusche von Tieren als an menschliche Rede. Hellas Augen blitzten. Überallgab es etwas zu entdecken. Da kam ihr ein schwarzbärtiger Magyar entgegen, in glänzenden Stiefeln und mit einem Sattel über der Schulter. Gleich daneben kicherten zwei grellgeschminkte Dirnen und riefen dem ungarischen Pferdehändler Scherzworte im schwäbischen Dialekt zu.
    «Na, Süßer, hascht net Luscht? Magscht ä Stückle

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