Höllenknecht
sowieso keine Zeit, heute beginnt die Messe.»
Auf dem Balkon des Römers wurde die Fahne aufgesteckt, mit der das Messerecht geboten war. Die Stadtpfeifer trompeteten,und die Herbstmesse des Jahres 1532 war eröffnet.
Rund um den Römerberg standen die Buden, duckten sich nordwärts in den Schatten der Liebfrauenkirche, schmiegten sich im Westen an die Mauer des Weißfrauenklosters, hörten im Süden erst am Mainufer auf und umringten das Dominikanerkloster östlich des Römers. Überall drängten sich Menschen in den Gassen. Auf dem Römerberg fanden Hella und Gustelies kein Durchkommen mehr. Immer noch drängten schwerbeladene Fuhrwerke in die Stadt, stauten sich vor der Waage, wo die Ladeknechte die Schreiber anschrien, dass sie sich beeilen mochten. Kisten, Ballen, Fässer, Säcke, alles musste zum Römerberg, wo bereits munter gehandelt wurde. Käufer zupften und rieben an den Tuchen, Händler übertönten einander beim Anpreisen ihrer Waren.
Dazwischen gab es allerlei Belustigungen. Feuerschlucker zeigten am Rande des Platzes ihre Künste, ein Zwerg mit nacktem Oberkörper balancierte auf einem Seil, eine junge Zigeunerin tanzte, ihre alte, zahnlose Tante las aus der Hand. Die Attraktion des Tages aber war der Tanzbär, den ein Mann am Nasenring führte. Ein Junge schlug den Schellenring, und der Bär richtete sich auf und drehte sich brummend. Hella blieb stehen und sah den Bären an. Der sah zurück. Für einen Augenblick standen sie Auge in Auge. Hella schien es, als ob das Tier lächelte. Fast wie ein Mensch, dachte sie. Es ist, als wolle er mir etwas sagen.
«Wie heißt der Bär?», fragte sie den Jungen.
Der zuckte mit den Achseln. «Einfach Bär. Manchmal nenne ich ihn Bruno, aber darauf hört er nicht.»
Sie hob dankend die Hand, wandte sich ab, und schon nach wenigen Schritten hatte sie das Tier vergessen.
In der Kannengießergasse wurden seit alters her Teller und andere Gerätschaften aus Zinn verkauft. In diesem Jahr wurde auch Besteck angeboten, besonders die neumodische Gabel mit den zwei Zinken, die Hella überaus praktisch fand. Sie mochte es ganz und gar nicht, fettige Speisen in die Finger zu nehmen und sich schmutzig zu machen. Eine Gabel bewahrte davor, und deshalb besaß der Haushalt in der Fahrgasse ein halbes Dutzend davon.
Hella und Gustelies ließen sich weiter durch die rastlose Stadt treiben.
Jede Zunft hatte ihre eigene Gasse, in der sie Handel trieb. Die Schuhgasse stand voll mit Buden, in denen Reiterstiefel neben zierlichen Pantoffeln feilgeboten wurden. Die Putzmacher sammelten sich in der Goldene-Hut-Gasse, auf dem Weckmarkt versuchten die Bäcker, die Marzipankocher und Zuckerbäcker zu überschreien. Hinter den Mauern des Nürnberger Hofs verabredeten die Handelsherren aus Franken große Lieferungen, die Fugger und Welser residierten im Augsburger Hof. Die Kaufleute aus der Eidgenossenschaft hatten sich auf dem Schweizer Platz eingefunden, und in der Buchgasse war zwischen den Buden der Drucker und Buchhändler kaum ein Durchkommen.
Hella und Gustelies genossen das Gedränge, den Lärm, die vielen Menschen. Die Sonne brannte endlich einmal nicht mehr mit ganzer Kraft vom Himmel. Dichte Wolken verdeckten das Blau, doch die Luft war noch immer heiß und schwül. «Heute Abend wird es wohl ein Gewitter geben», sagte Gustelies.
«Ich würde Gott dafür danken», erwiderte Hella. «Eine dicke Wachskerze würde ich spenden für ein wenig Abkühlung.»
Die beiden Frauen seufzten und schlenderten weiter. Siewaren am Ende der Fahrgasse angekommen, bogen nun in die Predigergasse ein und befanden sich kurz darauf auf dem Garküchenplatz. Der Geruch von ranzigem Fett stieg Hella in die Nase. «Igitt», schimpfte sie. «Der Gestank setzt sich in den Kleidern fest, dringt sogar durch die Haube bis ins Haar. Ich werde heute Abend riechen wie eine Schankwirtin.»
«Oh, es gibt Schlimmeres», befand Gustelies, drängelte sich an eine der zahlreichen Garküchen heran und verlangte einen in Fett ausgebackenen Kringel mit Hackfleischfüllung. «Und du?», rief sie ihrer Tochter zu. «Hast du nicht Lust auf eine Pastete oder etwas Ähnliches?» Hella schüttelte den Kopf und lehnte sich an die Rückseite einer Bude, während Gustelies den Fleischkringel verspeiste. Sie betrachtete die Leute. Neben Gustelies standen zwei Handwerker, an ihrer Kleidung als Zimmermänner zu erkennen, die sich ebenfalls die Fleischkringel schmecken ließen. Dem einen lief das heiße Fett über Finger
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