Höllenknecht
mit mir gehe? Willscht emol mei Brüschtle luge?»
Etwas weiter standen vier gutgekleidete Männer vor dem prächtigen Haus der Alten Limpurg zusammen. Mit hochnäsigen Blicken musterten sie den Platz, widmeten den Belustigungen keinen Lidschlag, sondern spähten ernst und beflissen nach dem nächsten Geschäftsabschluss.
Rings um sie vibrierte die Stadt vom Gelächter, dem Fluchen, Scherzen, Feilschen, Schimpfen und Rufen der Messegäste. Sogar der Geruch Frankfurts hatte sich verändert. Hier unten in der Buchgasse, nahe am Mainufer, roch es normalerweise nach Druckerschwärze, ein wenig nach Fluss und Krebsen und ganz leicht nach der Gerberlohe aus dem Nachbarquartier. Heute aber war die Luft von dem Pech geschwängert, das die Buchfässer verklebte, vom Duft edler Rosen- und Lavendelwässer, vom Schweiß der vielen Menschen und den Ausdünstungen derer, die eine lange, staubige Reise hinter sich hatten.
«Was suchst du eigentlich hier?», fragte Hella, als sie im Gedränge ihre Mutter erreicht hatte.
«Ich? Ach, nichts weiter. Ich will nur mal gucken.»
Hella runzelte die Stirn. «Wer’s glaubt, wird selig. Du kämpfst dich nicht durch das Gedränge, weil du nur mal gucken willst. Du doch nicht, Mutter. Wenn schon, dann höchstens in der Neuen Kräme, um zu sehen, welche neuen ausländischen Gewürze es gibt.»
«Vorsicht, Vorsicht. Habt Acht, ihr Leute!»
Ein Mann rollte ein riesiges Fass durch die Gasse. Hella und Gustelies sprangen zur Seite und ließen ihn vorüber.
«Also?», fragte Hella.
Gustelies zauderte, dann sagte sie mit stockender Stimme. «Du erinnerst dich an den fünfzehnten August? Vorige Woche also?»
«Natürlich», erwiderte Hella. «Da war Mariä Himmelfahrt, der Tag der Liebfrauenkirche.»
«Hmm. Genau. Erinnerst du dich vielleicht auch an unseren Kuchenwettstreit?»
Hella schüttelte den Kopf.
«Na, der übliche Wettstreit eben. Er ist nicht offiziell oder gar öffentlich. Aber jeder weiß, dass diejenige Hausfrau den Wettstreit gewonnen hat, deren Kuchen zuerst aufgegessen ist.»
«Ja, und? Das ist nichts Neues.» Hella lachte. «Ich habe schon einmal jemanden sagen hören: ‹Beim Wettstreit der Liebfrauengemeinde backen alle Hausfrauen einen Kuchen, und am Ende gewinnt stets die Haushälterin des Pfarrers.›»
Gustelies seufzte. «Ja, so war es bisher. Aber letzte Woche war Klärchen Gaubes Kuchenplatte als erste leer.»
Hella verkniff sich das Lachen, als sie sah, wie ihre Mutter wahrhaftig mit den Tränen kämpfte.
«Mein Kuchen», sagte Gustelies kläglich, «meiner ist nur Zweiter geworden.»
«Klärchen Gaube hat gewonnen? Die ‹gute Haut›, wie sie alle nennen?»
«Hat sich was mit ‹gute Haut›! Eine falsche Haut, das ist sie! Ja, sie ist seit drei Jahrzehnten Witwe, kinderlos und immer für die Gemeinde da, aber das ist trotzdem kein Grund, mir meinen Platz streitig zu machen.»
«Aha», bemerkte Hella. «Und was willst du hier in der Buchgasse daran ändern?»
Jetzt lächelte Gustelies verschmitzt und hob den Zeigefinger. «Besiegen will ich sie. Meinen angestammten Platz will ich zurück. Gleich beim nächsten Feiertag am achten September. Mariä Geburt. Da gibt es wieder einen Kuchenwettstreit. Und den muss ich gewinnen. Verstehst du, Hella, ich MUSS!»
Hella zuckte mit den Achseln. Ein Kuchenwettstreit war ihr so unwichtig wie die Tatsache, dass im nächsten Handelskontor ein Schreiber einen Tintenklecks machte. Aber sie sagte nichts, weil sie spüren konnte, wie wichtig ihrer Mutter dieser Wettstreit war. Wir alle brauchen Anerkennung, dachte sie und wurde plötzlich traurig. Wir alle müssen uns auf einem Gebiet hervortun. Es ist ganz gleich, auf welchem. Auch ein Kuchenwettstreit ist geeignet.
«Deine Rezepte sollten genügen», sagte sie. «Aber wie ich dich kenne, hast du dir etwas ausgedacht. Also, sag schon, mit welcher List willst du Siegerin werden?»
Gustelies sah sich nach allen Seiten um. Die Gasse war vollgestopft mit Menschen, Buden, Ständen und Fässern. Doch in all dem Getümmel war kein bekanntes Gesicht zu sehen, stellte sie fest. Trotzdem beugte sie sich dicht an Hellas Ohr und flüsterte verschwörerisch: «Mit Hilfe eines Zauberbuchs, meine Liebe. Es heißt ‹Dr. Faust’s Magia naturalis et innaturalis›, oder auch ‹Dr. Faustus’ dreifacher Höllenzwang›.» Gustelies sah ihre Tochter bedeutungsvoll an.
Hella nickte mit großen Augen. «Und weiter?», fragte sie.
Wieder beugte sich Gustelies ganz dicht zu ihr.
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