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Höllenknecht

Höllenknecht

Titel: Höllenknecht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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Menschen. Ein jeder schwitzte in der sengenden Luft, die wie Blei über der Stadt lag. Hellgrau wölbte sich der Himmel. Heinz blickte in Richtung Taunus. Von dort zogen schwarze Wolken heran, die Ränder schweflig gelb.
    «Wir müssen uns sputen», sagte er, schloss das Fenster und gab dem Schreiber ein Zeichen. Wenig später hasteten sie durch die Stadt, machten, um dem Messetrubel auszuweichen, einen Umweg über die Wedelgasse, die Kalte-Loch-Gasse und die Weißgerbergasse und gelangten schließlich durch die Mainzer Pforte in die Vorstadt.
    Hier war von der Messe nur noch wenig zu spüren. Zwar war die Mainzer Straße von den vielen Warenkolonnen, Fuhrwerken und Kutschen mit breiten Rinnen übersät und von zahlreichen Pferdehufen aufgerissen, doch jetzt lag sie still. Über ihr flimmerte die Luft in der Hitze. Neben der Straße duckten sich die ärmlichen, krummen Katen vor dem Mainzer Bollwerk. Bei einer hing die Tür nur lose in den Angeln. Bei einer anderen waren die Fenster noch vom Winter her mit räudigen Fellen verhängt. Zwischen zwei staubigen Gassen befand sich ein Brunnen, auf dessen Rand zwei nackte Kinder saßen und mit Steinen nach einem mageren Huhn warfen.
    Heinz und der Schreiber bogen einmal nach links und zweimal nach rechts ab und standen vor einem für Vorstadtverhältnisse überaus prächtigen dreistöckigen Steinhaus mit Giebel und mehreren Nebenbauten. Es war dasHaus des Henkers, welches von einer mannshohen Mauer umgeben war. Die Mauer war aus Bruchsteinen gefertigt und so neu, dass sie dem Richter, der schon oft hier gewesen war, noch immer fremd vorkam.
    «Wie lange steht das Ding schon?», fragte er nach dem Gruß.
    Der Henker verzog den Mund. «Ende Mai haben die Arbeiter begonnen, im Juli waren sie fertig.»
    Arvaelo, der den Henker auch schon kennengelernt hatte, kam in diesem Moment um die Ecke. «Warum», erkundigte er sich, «braucht ein Henker eine so hohe Mauer? Wäre er ein Kaufmann, könnte ich es verstehen. Aber was soll man beim Henker schon stehlen können?»
    «Leichen», brummte der Henker, der nicht gerade als geschwätzig bekannt war.
    «Wie?», fragte Arvaelo.
    Heinz lachte. «Der Henker will sagen, dass die meisten Leute hier sehr abergläubisch sind. Sie stehlen die Leichen. Deshalb die Mauer.»
    «Sie stehlen die Leichen? Um Gottes willen, warum das denn? Was machen sie mit den Toten? Wollen sie sich in der Kunst des Totenlesens üben?»
    «Nein», erwiderte Heinz und sah den Schreiber belustigt an. «Sie stehlen die Leichen, um aus ihnen Salbe zu machen. Sie stecken sie in Kessel und kochen sie. Dabei schöpfen sie das Fett ab.»
    Arvaelo erschauerte. Heinz kam es sogar so vor, als sei der Sarazene ein wenig blass geworden.
    «Aus dem Fett gewinnen sie die Salbe. Dann setzen sie ihr Bilsenkrautsamen zu und bestreichen ihre Haut damit.»
    «Warum, in aller Welt, tun sie das?» Arvaelo konnte nicht aufhören, sich darüber zu verwundern.
    «Sie wollen den Alltag vergessen, der schwer genug ist. Mit der Salbe und dem Bilsenkraut können sie anfangen zu träumen. Sie träumen zum Beispiel davon, fliegen zu können. Gibt man der Menschenfettsalbe einen Extrakt aus Tollkirsche dazu, so träumen sie von der Liebe. Manche Frauen sogar von Orgien mit dem Teufel. In der Walpurgisnacht kam solcherlei schon vor. Die Weiber glaubten, sie wären auf dem Brocken und frönten dort der Fleischeslust.» Er räusperte sich.
    Der Sarazene schluckte und schwieg. Er sah den Richter zweifelnd an, doch der Henker nickte. «Der Richter lügt nicht», sagte er.
    Als auch Eddi Metzel endlich beim Henkershaus eingetroffen war, begann die Schau der Leichenteile. Der Rumpf lag in einem Keller, der nur spärlich von Pechfackeln erleuchtet war.
    «Hier ist es finster wie einem Rattenloch», erklärte Eddi Metzel. «Wie sollen wir hier etwas erkennen? Außerdem stinkt es bestialisch.»
    «Was erwartest du von einem Tage alten Kadaver?», wollte der Henker wissen und zündete noch ein paar Fackeln an. Richter Blettner hatte sich ein dünnes Tuch um Mund und Nase gebunden und fuchtelte mit beiden Händen vor dem Gesicht herum, um die Fliegen zu verscheuchen.
    Arvaelo trat ganz dicht an die Leichenteile heran, drückte da mit der Hand, roch dort, führte seinen Finger dicht an die Augen. Während Heinz Blettner mit angeekeltem Gesicht den Madenbefall musterte, tat Arvaelo, als hätte er ein schönes Mädchen vor sich liegen. Seine Augen leuchteten wie die eines Verliebten.
    Der Schreiber blieb nahe

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