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Höllenknecht

Höllenknecht

Titel: Höllenknecht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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die Tür gehen. Gleich würde Heinz nach ihr rufen. Sie konnte es jetzt schon hören. «Hella, mein Lieb, komm herunter. Ich habe Besuch mitgebracht!»
    Sie legte den Kopf ein wenig schief, doch nichts geschah. Keine Tür quietschte, keine Diele knarrte, kein Ruf erscholl.
    Leise öffnete sie die Tür und lauschte ins Innere des Hauses. Nur die Stimme der Magd war zu hören. Sie schien auf dem Hof zu stehen. Aber mit wem sprach sie?
    Hella eilte über den Korridor in die Stube, die einmal die Kinderkammer werden sollte, und spähte von dort aus dem Fenster in den Hof hinab. Was sie sah, ließ sie zusammenzucken. Unter ihr standen Arvaelo, Heinz und Minna, die zwei Tauben an den Füßen gepackt hatte und mit den Köpfen nach unten hängen ließ. In einer Hand hielt Arvaelo ein Messer, welches Hella unter dem Namen Krummschwert bekannt war.
    «Also, aufgepasst», hörte sie ihn sagen. «Ich werde jetzt der Taube den Kopf abhacken. Du, Heinz, schaust nur auf die Blutstropfen.»
    Hella zog die Stirn in Falten. Was soll denn das?, dachte sie. Hat die Magd plötzlich Angst davor, eine Taube zu schlachten? Sie beugte sich weit aus dem Fenster, war nur knapp eine Mannslänge von denen im Hof entfernt.
    «Also auf!», bestimmte Heinz, die Magd kniff die Augen zusammen. Arvaelo nahm der Magd die Taube aus der Hand, legte sie auf einen Holzblock, schwang mit der rechten das Krummschwert, stieß einen Laut aus – und schon schoss ein Blutstrahl aus dem Hals der Taube, während der Kopf auf den Boden fiel, ein kleines Stück über den Boden rollte, bis er endlich im Gras zur Ruhe kam.
    «Jetzt pass auf, Heinz», rief er, als der Blutschwall versiegt war und es nur noch tropfte. «Sieh das Blut, das jetzt zu Boden fällt. Ich halte die Taube nur knapp über den Boden. Siehst du? Siehst du?»
    «Aber ja. Der Blutstropfen ist rund mit glatten Rändern.»
    «Genau. Jetzt halte ich die Taube höher. Etwa eine Handbreit über den Boden. Was siehst du jetzt?»
    «Der Blutstropfen ist nicht mehr ganz so rund. Die Ränder sind uneben», erklärte Heinz.
    «Gut. Und jetzt halte ich die Taube etwa kniehoch.»
    «Der Blutstropfen ist kein Tropfen mehr, sondern eher ein Stern.»
    Arvaelo richtete sich auf, übergab der Magd die Taube und wischte sich mit dem Unterarm über die Stirn.
    «Und was bedeutet das alles?», fragte Arvaelo.
    «Dass man an der Form der Blutstropfen die Fallhöhe erkennen kann», antwortete Heinz wie ein gelehriger Schüler.
    «Genau.» Arvaelo kramte in seinem Beutel und holte die Zeichnung aus dem Garten des Spitals heraus. Auch der Richter hatte seine Wachstafel gezückt.
    Beide starrten eine Weile auf ihre Aufzeichnungen.
    Hella sah ihnen von oben dabei zu. Sie hatte sich die Hand auf dem Mund gepresst und ein Stöhnen unterdrückt, als Arvaelo die Taube geköpft hatte. Im ersten Augenblick übermannte sie Mitleid mit dem Tier, obwohl sie dergleichen ja täglich auf dem Markt sah. Aber heute fand sie am Tod der Taube etwas, das sie anzog. Der Geruch von Blut schien ihr bis in den ersten Stock und in die Nase zu steigen und machte sie unruhig. Männer müssen töten, dachte sie. Es war ein ungewöhnlicher Gedanke für Hella. Normalerweise verabscheute sie jede Art von Gewalt und schritt schon ein, wenn ein Kind nach einem Straßenköter trat. Aber bei Arvaelo schien alles ganz anders. Er konnte machen, was immer er wollte, sie fand es gut und richtig. Hella schüttelte den Kopf über sich selbst und trat vom Fenster fort. Sosehr sie sich nach Arvaelo sehnte, sosehr ängstigte sie der Fremde auch. Es war, als verkehre er alles, was sie dachte und glaubte, in das Gegenteil. Aus Gut machte er Böse, aus Böse Gut.
    Es erschreckte sie, und für einen kurzen Augenblick hatte sie Sehnsucht nach ihrem Mann. Sehnsucht nach Geborgenheit, Ruhe und Gleichmaß.
     
    Am Abend aßen sie die gebratenen Täubchen. Arvaelo hatte nicht zum Abendessen bleiben wollen, so herzlich Heinz ihn auch dazu eingeladen hatte. Hella war es recht so. Ohnehin hätte sie in seiner Gegenwart keinen einzigen Bissen heruntergebracht.
    Heinz hatte am Nachmittag mit dem zweiten Vogel denVersuch wiederholt. Danach war die Magd noch einmal zum Markt geeilt, denn für eine vollständige Mahlzeit waren pro Person zwei bis drei Tauben vonnöten. So jedenfalls hatte Hella entschieden, als Heinz sie schließlich in der Wohnstube aufsuchte und von den Täubchen sprach. Natürlich hatte Hella den Versuch im Hof mit keinem Wort erwähnt. Sie hätte dabei

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