Höllenknecht
und bemühte sich, mit seinem Griffel die Wachstafel zu beschreiben.
«Solche Wunden bluten nur wenig. Nach einer Stunde bildet sich weicher Schorf, nach einer Woche fällt der Schorf ab. Es ist wichtig zu wissen, damit du bei einem Todesfall herausfindest, ob mögliche Wunden vielleicht schon vor dem Tod entstanden sind.»
Arvaelo ging weiter, blieb am übernächsten Krankenlager stehen. Darauf saß ein Mann im Schneidersitz, dem mehrere Vorderzähne fehlten. «Ihr seid in eine Prügelei geraten?», fragte Arvaelo.
«Das kann man wohl sagen», erwiderte der Verletzte und reckte die Brust. «Zu dritt kamen sie, aber ich habe sie alle niedergeschlagen.»
«Ihr seid ein tapferer Mann», lobte Arvaelo und wandte sich an Heinz. «Siehst du die blauen Flecken um die Augen, die aussehen wie Augengläser? Diese Entstehen durch direkte Gewalteinwirkung.»
«Das sage ich doch», verkündete der Mann stolz.
«Durch einen Faustschlag vielleicht, der nicht abgewehrt wird.»
Der Verletzte schwieg beleidigt und drehte sich auf die andere Seite.
«Bei blauen Flecken musst du dir folgende Farbabstufungen merken: blauviolett, blau, blaugrün, grüngelb und zum Schluss gelb. Anhand dieser Färbungen erkennst du das Alter der Hautunterblutung.»
«Hmm», brummte Heinz und schrieb eifrig.
Der Sarazene lief durch den Saal zur anderen Seite. Heinz folgte ihm, die Kranken freundlich grüßend.
«Hier hast du ein Beispiel für scharfe Gewalt», erklärte Arvaelo und deutete auf einen jungen Mann, der bewusstlos zu sein schien. Er lag auf dem Rücken. Sein Bauch war in Höhe des Nabels von einem Stück Leinentuch bedeckt,das Arvaelo lüftete. «Hier, das ist eine Stichwunde. Du erkennst sie an den glatten Wundrändern. Platzwunden, die zum Beispiel von Schlägen mit einem Knüppel herrühren, haben zerklüftete Wundränder.»
Der junge Mann bewegte sich ein wenig und stöhnte dabei. Arvaelo setzte sich zu ihm, strich ihm sanft über die Stirn. «Er hat Fieber», sagte er. «Das wiederum ist ein Zeichen, dass sich die Wunde entzündet haben könnte.»
«Kannst du ihm nicht helfen?», fragte Heinz. Arvaelo schüttelte den Kopf. «Nein. Das ist die Sache des Feldchirurgen oder Medicus. Es würde ihre Ehre verletzen, wenn ich den Kranken behandeln würde.»
Im Saal trat langsam Unruhe ein. Die Männer wälzten sich auf ihren Lagern hin und her. Einer schrie auf, andere stöhnten.
«Lass uns gehen», bat Arvaelo. «Wir stören hier nur.»
«Ja, außerdem wartet der Henker auf uns.»
«Jetzt schau dir nur an, was hier für ein Andrang herrscht!» Gustelies zeigte mit dem Finger auf die Eingangstür zum Malefizamt. Sie stand an Juttas Wechselstube gelehnt, vor sich einen Korb mit Einkäufen.
Jutta Hinterer lachte. «Was willst du? Hast du nicht gewusst, dass der Mensch des Menschen größter Feind ist? Der Mensch an sich, meine ich. Dann kommt noch die Geschichte mit den Männern und den Frauen dazu.»
«Vor dem Römer sehe ich Männer und Frauen stehen.»
«Sage ich doch.» Jutta Hinterer beugte sich aus ihrer Stube heraus und zeigte mit dem Finger auf die Menschentraube vor dem Römer. «Da, schau hin, das ist die Denglerin. Ihr Mann schlägt sie. Es vergeht keine Woche, in der sie nicht neue blaue Flecke hat. Zwei Mal schon hat er ihr denArm gebrochen. Jetzt steht sie da, und ich wette, sie will im Malefizamt angeben, dass ihr Mann der gesuchte Menschenfresser sei.»
Gustelies kniff die Augen zusammen. «Machst du Witze?», fragte sie.
«Ich? Im Leben nicht! Ich weiß das so genau, weil sie gestern hier war und von mir wissen wollte, welche Kennzeichen ein Werwolf hat. Als ich sie nach dem Grund fragte, erzählte sie, dass ihr Mann immer öfter merkwürdige Anwandlungen habe. Ich sagte ihr, sie müsse sich schon entscheiden, was der Ihre nun sei. Ein Menschenfresser oder ein Werwolf.»
Jetzt lachte auch Gustelies. «Guck mal, da steht auch der Büchsenmeister Schwarzer. Ich wette, er zeigt einen Ratsherrn an, weil er dieses Mal kein Pulver nach Wien gegen die Türken liefern konnte.»
Jutta schüttelte den Kopf. «Nein, einen Ratsherrn wird er nicht anzeigen. Einen Hauch von Respekt wird er sich wohl noch bewahrt haben. Ich nehme an, der Zunftmeister ist sein Opfer.»
Die beiden Frauen nickten, die Arme verschränkt.
Dann fragte Jutta. «Was macht dein Schwiegersohn an einem Tag wie heute, an dem jeder seinen Nächsten anzeigt?»
Gustelies zuckte mit den Achseln. «Heinz hat nicht viel übrig fürs Petzen.
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