Hoellennacht
war verletzt worden. Die Urlaubsversicherung hatte das Krankenhaus in Spanien und den Rücktransport nach London bezahlt, aber er war nie wieder gegangen und würde auch nie wieder gehen.
Nach dem Unfall hatten sich die Dinge natürlich geändert. Er schaffte es, sich selbst in den Rollstuhl zu heben, konnte allein zur Toilette gehen und fuhr einen behindertengerecht umgebauten Wagen, aber er war trotzdem ein Krüppel, und schlimmer noch, ein Krüppel, der keine Erektion bekommen konnte. Sex war ein Ding der Unmöglichkeit– oder zumindest die Art Sex, wie sie sie vor dem Unfall gehabt hatten. Er tat sein Bestes, sie mit Händen und Zunge zu befriedigen, aber das reichte nicht. Er hatte gewusst, dass sie sich eines Tages einen Geliebten zulegen würde, aber er hatte gehofft, dass sie ehrlich genug sein würde, ihm davon zu erzählen, und dass sie ihm trotz allem ihre Liebe versichern und ihm versprechen würde, für immer seine Frau zu bleiben.
Seit Wochen schon hegte er den Verdacht, dass sie eine Affäre begonnen hatte, aber als er sie danach gefragt hatte, hatte sie es abgestritten. Tief im Herzen wusste er aber, dass sie beabsichtigte, ihn zu verlassen. Vielleicht würde sie noch ein paar Wochen oder auch Monate bleiben, aber er hatte eine wachsende Kälte in ihren Augen bemerkt, abends schwiegen sie sich vor dem Fernseher an, und so hatte er Jack Nightingale beauftragt, ihr nachzuforschen.
McBride hatte sie mit den Beweisen konfrontiert– den Handyverbindungsnachweisen und dem Video, das zeigte, wie sie ins Hotel ging–, und er hatte sie gefragt, ob sie die Absicht hege, ihn zu verlassen. Sie hatte ihm nicht geantwortet. Stattdessen hatte sie ihren Mantel angezogen und war aus dem Haus gegangen. Er hatte den ganzen Abend und die ganze Nacht gewartet, aber sie war nicht zurückgekehrt– und sie hatte ihr Handy ausgeschaltet. McBride wusste, dass er es nicht ertragen würde, ohne sie zu leben.
Sein Haus, ihr gemeinsames Haus, das Haus, in dem sie seit mehr als sechs Jahren lebten, lag nur eine Meile vom Kanal entfernt. Er hielt dies für die beste Methode. Er besaß Schmerztabletten, aber er hatte die Sache im Internet überprüft, und eine Überdosis würde ihn nicht sofort umbringen. Er würde sterben, aber an Leberversagen, und es wäre ein langsamer, allmählicher Tod, der sich über mehrere Tage hinziehen würde. Sein Arzt würde ihm wahrscheinlich Schlaftabletten verschreiben, aber normalerweise dauerte es mindestens drei Tage, bis man einen Termin bekam. Er hatte daran gedacht, sich die Pulsadern zu öffnen, aber die Vorstellung, sich mit einem Messer ins Fleisch zu schneiden, flößte ihm Übelkeit ein. Im Kanal würde es leicht und schnell gehen.
McBrides Rollstuhl hatte keinen Motor, und so trieb er die Räder mit den Händen an. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, seine fingerlosen Lederhandschuhe anzuziehen, und seine Handflächen waren bald schmutzig und wund. Am Abend hatte es geregnet, und die Räder machten beim Rollen ein zischelndes Geräusch. Der Kanal war nicht tief, wie McBride wusste, höchstens einen Meter fünfzig, aber hinstellen konnte er sich ja nicht. Er hatte eine Stahlkette in der Garage gefunden, die der Mann, der ihnen das Haus verkauft hatte, dort zurückgelassen hatte. Sie war schwer, und die Kettenglieder waren daumendick. Er hatte sie sich um die Taille gewickelt und sie mit einem Vorhängeschloss gesichert, damit er nicht im letzten Moment seine Meinung ändern konnte.
Er rollte die steile Betonrampe vom Bürgersteig zum matschigen Treidelpfad hinauf. Links wuchs ein Nesselgestrüpp und dahinter eine hohe, von Brombeerbüschen durchsetzte Hecke. Der Kanal lag zu seiner Rechten. Dort war ein schmales Boot vertäut, dunkelblau, mit runden, messinggefassten Bullaugen und Skylights. McBride rollte weiter, bis es außer Sichtweite war, und drehte den Stuhl dann zum Wasser. Er schloss die Augen und schluckte. » Vater unser, der du bist im Himmel«, flüsterte er. Seit seiner Hochzeit war er in keiner Kirche mehr gewesen, und er hatte sich nie als fromm betrachtet, aber er wollte mit dem Vaterunser auf den Lippen sterben. Er murmelte es weiter, während er sich vorwärtsstieß. Er musste kräftig in die Räder greifen, um über den Rand zu kommen, aber er schaukelte sich vor und zurück, bis er mit dem Kopf voran ins kalte, schwarze Wasser stürzte.
McBride hatte geglaubt, allein zu sein, aber es gab eine Zeugin– oder sogar zwei Zeugen, wenn man den Hund mitzählte,
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