Hoellenpforte
ihnen nicht aus den Augen. Matt verstand. Aus irgendeinem Grund spielte der Gestaltwechsler mit ihnen. Er tat so, als wäre es nur ein ganz normaler Unfall gewesen. Wenn Matt ihn herausforderte und es hier auf der Straße zu einem Kampf kam, konnten Unschuldige verletzt werden. Und er war mit einem gefälschten Pass und unter falschem Namen in England eingereist. Es war nicht der richtige Zeitpunkt, um Fragen zu beantworten. Gerade jetzt hatte er zu viel zu verlieren.
»Es tut mir wirklich leid«, beteuerte der Gestaltwechsler.
»Ich habe alles genau gesehen!« rief der Busfahrer. Er deutete mit einem empörten Kopfrucken auf den BMW-Fahrer. »Er ist mit achtzig Sachen aus der Einfahrt gekommen. Er hat nicht auf den Verkehr geachtet. Und auch nicht geblinkt. Es war alles seine Schuld.«
»Ist jemand verletzt?«, fragte einer der Polizisten.
»Unser Fahrer«, sagte Richard.
Die rechte Seite des Jaguars war am härtesten getroffen worden und es sah aus, als hätte sich ihr Fahrer den Arm gebrochen. Er war nur halb bei Bewusstsein und hatte Schmerzen. Einer der Polizisten half ihm beim Aussteigen und legte ihn auf den Gehsteig, wo er eine Viertelstunde liegen musste, bis endlich der Krankenwagen kam. Inzwischen hatte der andere Beamte angefangen, den BMW-Fahrer – »Mr Smith« – zu befragen. Er konnte sich nicht ausweisen.
»Ich war auf dem Weg nach Chislehurst. Ich bin Klavierlehrer. Ich bin vom Grundstück gefahren, ohne hinzusehen. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie schrecklich ich mich fühle…«
Matt beobachtete, wie sie einen Alkoholtest mit ihm machten, und musste beinahe grinsen, als er ihn pusten sah. Da sein Atem nicht menschlich war, hätte er vermutlich eine ganze Kiste Whisky trinken können, ohne dass das Gerät etwas angezeigt hätte. Ihr Fahrer war mittlerweile in den Krankenwagen verfrachtet und abtransportiert worden. Es war schon mindestens eine halbe Stunde vergangen und Richard wollte unbedingt weiter, aber das ließen die Polizisten nicht zu. Sie wollten eine Aussage haben – auf dem Revier… Sie hatten keine Chance. Richard, Matt und Jamie wurden weggefahren.
Als die Polizisten sie endlich gehen ließen, war es fast vier Uhr. Jetzt war es zu spät, zum Flughafen zu fahren. Scarlett war bereits auf ihrem Weg nach Hongkong in der Luft.
Sie verließen die Polizeiwache und steuerten ein Cafe an, aber Matt wollte nichts trinken. Er war gereizt und deprimiert. Die Alten tricksten ihn immer wieder aus. Sie schienen genau zu wissen, was er vorhatte, und die Falle, die sie ihm gestellt hatten, war geradezu lächerlich simpel gewesen. Er erwähnte das Taxi nicht, das er aus der Ardbeg Road hatte kommen sehen, aber der Gedanke ging ihm nicht aus dem Kopf, dass Scarlett darin gesessen haben konnte. Endlich hatten sich ihre Wege gekreuzt - allerdings Sekunden zu spät.
»Lasst uns zu ihrem Haus gehen«, schlug Matt vor.
»Wozu?« Richard schaute nicht einmal von seinem Tee auf.
»Ich weiß nicht. Vielleicht ist sie ja noch da. Aber auch wenn nicht – wir sind jetzt so weit gekommen…«
Weder Richard noch Jamie sagten etwas dazu.
Sie gingen zu Fuß zurück in die Ardbeg Road. Sie erinnerte Matt ein wenig an die Straße, in der er früher gewohnt hatte. Auch hier hatten die Reihenhäuser große Wohnzimmerfenster, gepflegte Vorgärten und mit Sträuchern getarnte Mülltonnen. Scarlett wohnte ungefähr in der Mitte der Straße.
Sie klingelten an der Tür und rechneten eigentlich nicht mit einer Reaktion, aber nach etwa einer halben Minute wurde die Tür geöffnet, und sie sahen sich einer kleinen, streng dreinblickenden Frau mit einem schwarzen Haarknoten gegenüber, die sie ansah, als erwartete sie Ärger.
»Ja?«, sagte sie. Sie hatte einen schottischen Akzent.
»Wir wollten zu Scarlett Adams«, sagte Matt.
»Tut mir leid, aber sie ist heute Mittag abgereist.«
Richard trat vor. »Wohnen Sie hier?«, fragte er.
»Ja. Ich bin die Haushälterin. Sind Sie Freunde von Scarlett?«
»Eigentlich nicht«, sagte Matt. »Wir sind gerade aus Amerika gekommen und hatten gehofft, sie zu sehen.«
»Das wird leider nicht gehen. Sie ist eine Weile außer Landes.«
»Wissen Sie, wann sie zurückkommt?«
»Vielleicht in ein oder zwei Wochen. Es tut mir wirklich leid. Wenn Sie ein paar Stunden früher gekommen wären, hätten Sie sie noch erwischt. Möchten Sie ihr eine Nachricht hinterlassen?«
»Nein, vielen Dank.«
»Dann auf wiedersehen.«
Die Frau schloss die Tür.
Das war es. Mehr
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