Hoellenprinz
Tüte und aà eine Scheibe Toast. Das musste reichen. Appetit hatte sie sowieso keinen. Erst als sie an der Bushaltestelle saÃ, registrierte sie die Stille. Die StraÃe lag noch im Tiefschlaf und die Gärten waren von Tau überzogen. Nur die Vögel waren zu hören, als genössen sie die kurze Zeitspanne, in der ihnen die Welt alleine gehörte. Sie schaute auf ihr Handy. Es war 6:20 Uhr. So früh hatte sie an einem Sonntagmorgen noch nie hier gesessen. Die StraÃe, in der sie seit ihrer Geburt lebte, kam ihr plötzlich fremd vor. Konnte sie um diese Uhrzeit überhaupt zu Caro fahren? Normalerweise schlief sie am Wochenende bis mittags. Tränen schossen Ela in die Augen. Was sollte sie so lange tun? Schon die letzte durchwachte Nacht war ein grässlicher Kampf gegen jede einzelne Minute gewesen und sie wollte einfach nicht mehr nur herumsitzen. Sie wollte mit Caro reden. Ein Auto fuhr vorbei. Ein Mann saà drin. Ela blickte ihm hinterher, bis er im Wald verschwunden war. Wahrscheinlich ein Jogger, dachte sie.
»Hey Pumuckl, kommste mit zum Joggen?«
Diese Stimme! Sie war so nah, so entsetzlich nah. Ela sprang auf und ging nach Hause. Mit dem Fahrrad bräuchte sie etwa eine Dreiviertelstunde zu Caro. Selbst wenn es dann immer noch zu früh war zu klingeln, war das auf jeden Fall besser, als herumzusitzen und gegen die Zeit, die Bilder und Daniels Stimme anzukämpfen.
Das Radfahren und der Fahrtwind taten ihr gut. Sie radelte so schnell, dass sie schon nach 35 Minuten vor Caros Haustür stand. Jetzt war es genau sieben Uhr. Sie stellte das Fahrrad an der seitlichen Hauswand ab und schlich auf die Terrasse, in der Hoffnung, dass schon jemand aufgestanden war. Der Tau im frisch gemähten Gras strich über ihre FüÃe, an denen sie nur Sandalen trug, und kühlte sie ab. Vom schnellen Radeln war ihr heià geworden.
Es herrschte absolute Stille. Sogar Caros sechsjähriger Bruder, Linus, schien noch zu schlafen. Ela setzte sich auf das nackte Gitter der Hollywoodschaukel. Das letzte Mal hatte sie vor zwei Wochen hier mit Caro gesessen. Den Abend würde sie nie vergessen. Sie hatten sich die ganze Woche nicht gesehen, wegen der Praktikumswoche, aber miteinander telefoniert, jeden Abend. Nur am Freitag nicht. Da war Caros Handy nicht an gewesen. Erst am Samstagmittag hatte Ela eine SMS bekommen.
Sie kramte ihr Handy hervor und öffnete den Gesprächsverlauf mit Caro.
»Du musst unbedingt vorbeikommen. Heute! Muss dir was erzählen.«
Ela erinnerte sich noch genau an ihre Vorahnung und an ihren Widerwillen. Doch dann hatte sie sich in den Bus gesetzt und am strahlenden Gesichtsausdruck ihrer Freundin sofort erkannt, dass ihre Befürchtungen sich bewahrheitet hatten.
»Ich habe einen Freund. Rate mal, wen!«, hatte Caro gesagt.
»Daniel«, hatte Ela geantwortet und mit Caros Nicken hatte Elas Herz aufgehört zu schlagen, mehrere Schläge lang, Stunden, bis jetzt.
Es hatte sich in der Praktikumswoche angebahnt, denn Caro hatte in dem Laden ihr Praktikum gemacht, in dem Daniel jobbte.
Wäre alles anders gekommen, wenn ich ihr erzählt hätte, dass ich ihn liebe?, fragte Ela sich. Immer habe ich behauptet, dass Daniel wie ein Bruder für mich war. Warum? Warum verdammt?! Ela atmete tief durch und brachte die Hollywoodschaukel zum Schaukeln. Sie kannte die Antwort besser als jeder andere.
Kinderlachen schallte über die Wiese und rettete sie davor, sich die Antwort einzugestehen. Linus war wach â endlich! Jetzt hörte sie auch Caros Stiefvater lachen, den Vater von Linus. Die beiden schienen sich gegenseitig zu kitzeln. Ela lauschte dem fröhlichen Treiben. Verrückt, dass das Leben für die meisten Menschen einfach so weiterging. Plötzlich ging die Terrassentür auf und Caros Mutter Ute trat nach drauÃen. Sie war barfuà und hatte sich ihren Seidenbademantel nur um die Schultern gelegt.
»Ach Ela, du bist das. Ich habe das Quietschen gehört. Wie lange sitzt du schon hier?«
Ela schaute auf ihre Uhr.
»Seit einer halben Stunde.«
»Und was willst du?« Utes Stimme klang fremd, ungewöhnlich hart. Ihre Augen lagen tiefer als sonst und um ihren Mund waren Fältchen zu sehen, als würde sie ihre Lippen verkrampfen.
»Ich möchte Caro sprechen.«
»Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist.«
Sie hatte es ihr erzählt. Caro hatte ihrer Mutter alles erzählt! Dabei
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