Hoellenprinz
Arbeitsfläche frei und stellt die Sachen darauf. »Schreib deinen gröÃten Wunsch auf einen Zettel. Den knoten wir an eine Rakete und schieÃen ihn hoch.«
»Und die Engel fangen den Zettel auf und lesen ihn?«
»Die Engel oder der liebe Gott oder Petrus ⦠Wer halt grad vorbeikommt«, antwortet Daniel lachend.
Ich denke nach. Eigentlich habe ich nur den einen Wunsch: ganz viel, am liebsten immer mit Daniel zusammen zu sein. Aber den darf ich natürlich nicht aufschreiben. Wenn er meinen Zettel sieht, würde ich vor Scham sterben. Er sitzt mir gegenüber und grübelt genauso. Unser beider Atem vereint sich als weiÃer Nebel in der Mitte des Tisches. Dieser indirekte Kuss lenkt mich derart ab, dass ich mich nicht konzentrieren kann. Daniel schreibt und knotet sein Papier an eine Rakete. Ich sitze immer noch da und überlege.
»Fertig?«, fragt er und ich kritzle aus Verlegenheit »Weltfrieden« auf den Zettel. Nicht besonders einfallsreich.
»Okay, dann mach ihn fest.« Er schneidet ein Stück Kordel ab und reicht es mir. Ich knote meinen Zettel an eine Rakete und dann gehen wir raus. In dem Moment bin ich sauer, dass ich nicht meinen wahren Wunsch aufgeschrieben habe, denn Daniel scheint ihn gar nicht wissen zu wollen. Mist! Meine Liebe zu ihm ist mir wesentlich wichtiger als der Weltfrieden.
Als wir die Dinger dann zu den Engeln schicken wollen, müssen wir feststellen, dass es eine Schnapsidee war. Die Raketen sind durch Zettel und Kordel so schwer geworden, dass sie nicht richtig in die Luft gehen. Nach einem müden Bogen landen sie ein paar Meter weiter auf der StraÃe, laut quietschend und Funken sprühend. Papa macht Stress, denn mit solchen Experimenten bringt man sich und andere in Gefahr. Daniel nickt sichtlich nervös, als Papa uns den Anschiss erteilt. Danach geht er sofort seinen Zettel suchen. Umso neugieriger bin ich natürlich und helfe ihm. Hat er am Ende das geschrieben, was ich schreiben wollte, und schämt sich jetzt? Ich habe Glück. Auf der StraÃe ist so viel los, dass Daniel nicht sieht, wie ich seinen Zettel aufhebe. Ich drehe mich von ihm weg und lese:
»Ich wünsche Mama einen Mann und mir die Freiheit.«
12
M utter, was machst du denn schon im Garten?«
»Ich möchte alleine sein!«
»Komm rein. Du hast ja kaum was an.«
Die Stimmen von Tante Waltraud und ihrer GroÃmutter rissen Ela aus einem kurzen, komaartigen Schlaf. Sechs Uhr zeigte der Wecker an. Das letzte Mal hatte sie um halb fünf drauf geschaut, sie hatte also tatsächlich eineinhalb Stunden geschlafen.
»Wo ist der Gärtner?«
»Es gibt keinen Gärtner. Komm, lass uns reingehen und frühstücken.«
Ela kletterte aus dem Bett und blickte aus dem Fenster. Ihre GroÃmutter stand in ihrem langen Nachthemd mit nackten FüÃen mitten auf der Rasenfläche. Sie sah dünn und durchsichtig aus und ihre unfrisierten, dauergewellten Haare klebten, von der Nacht platt gedrückt, an ihrem Kopf. Tante Waltraud packte sie am Arm und zog sie aus Elas Blickfeld nach drinnen.
Das Nachbarhaus stand da wie zu Stein erstarrter Horror. Ob Beate wusste, dass Ela die einzige Verdächtige war? Eine grässliche Vorstellung!
Ela machte den Computer an und schaute, ob ihre Eltern geantwortet hatten.
Nichts â verdammt!
Der Tag lag vor ihr wie ein unbezwingbares Ungeheuer, das sie jederzeit verschlingen konnte. Sie musste sich jemandem anvertrauen.
»Lass mich in Ruhe!« Die Stimmen und Geräusche kamen ihr wieder in den Sinn. Hatte sie da gestern tatsächlich ihre eigene Stimme gehört? Irgendwie konnte sie sich das nicht vorstellen. Aber warum nicht? Warum hatte sie das Gefühl, dass sie diese Worte nicht ausgesprochen hatte? War das Wunschdenken? Oder eine Ahnung? Oder Wahnsinn? Wurde sie verrückt? Sie musste etwas tun, dringend mit jemandem sprechen.
Caro! Sie beschloss, zu Caro zu gehen â und zwar sofort! Sie würde ihr helfen, schlieÃlich war sie ihre beste Freundin. Und dieser Kuss ⦠was zählte ein Kuss im Alkoholrausch wirklich? Nicht nachdenken. Schnell schlüpfte Ela in ihre Jeans, die sie gestern achtlos auf den Boden geschmissen hatte. Ihr T-Shirt lag zusammengeknüllt am FuÃende ihres Bettes. Sie spürte ein bisschen Hunger. Gestern hatte sie keinen einzigen Bissen herunterbekommen. Sie ging in die Küche und nahm einen Schluck Milch direkt aus der
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