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Hoellenprinz

Hoellenprinz

Titel: Hoellenprinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zara Kavka
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Chancen, sich wieder an das Vergessene nach einem Filmriss zu erinnern, schlecht standen. Aber es gab auch Vorschläge wie »sich noch mal in die gleiche Situation begeben« oder »bewusstseinserweiternde Drogen nehmen«. Außerdem hatten sich vor allem zwei Tipps wiederholt: Geduld und Hypnose. Wenn man es nicht zu sehr forcierte, sich schonte, viel spazieren ging, gut aß, dann könnte es manchmal sein, so hieß es, dass die Erinnerungen von selbst wiederkamen. Super Tipp, wirklich! Als ob ihr der Sinn nach Seniorenurlaub stünde! Und Hypnose machte ihr Angst.
    Ein leichter Wind wehte durch das geöffnete Fenster über ihren nackten Körper. Sie angelte sich die Decke vom Boden und zog sie über sich.
    In dem Moment schoss der Gedanke in ihr Bewusstsein, den sie seit dem Präsidium nicht zugelassen hatte:
    Was wäre, wenn sie es wirklich getan hatte?
    Ihr Herz begann zu rasen. Vielleicht hatte ja der Schock über die Tat ihr Gedächtnis gelöscht und gar nicht der Alkohol. So etwas gab’s, davon hatte sie auch im Internet gelesen, eine Art Traumabewältigung …
    Wollte sie dann ihr Gedächtnis überhaupt zurückhaben? Bilder, Geräusche, Sätze, die zeigten, wie sie den Menschen umgebracht hatte, den sie ihr Leben lang…
    Nein! Sicher nicht!
    Wie auf Knopfdruck liefen vor ihrem inneren Auge mögliche Szenen ab, wie sie mit einem Stein Daniels Kopf traf, immer wieder, fest, wütend …
    Sie setzte sich auf, machte das Licht an und fragte sich, ob das gerade eine Erinnerung oder nur Fantasie gewesen war. Das Blut rauschte pulsierend in ihren Ohren. Sie betrachtete ihre Hände. Da war tatsächlich eine kleine Wunde, aber sie kam von einem Stock, denn sie entdeckte einen Splitter unter der leicht geröteten Haut. Jetzt erinnerte sie sich: Sie hatte mit einem Stock Marshmallows gegrillt.
    Erschöpft schaute sie auf die Fotowand, die direkt vor ihr hing. Es waren Fotos aus ihrem Leben, die sie in Herzform zusammengeklebt hatte. Das Herz war stetig gewachsen, da immer wieder neue Menschen in ihr Leben getreten und dadurch neue Bilder hinzugekommen waren. Ganz innen war ein Ultraschallfoto von ihr, auf dem sie im Fruchtwasser schwamm und am Daumen lutschte, und dann hatte sie die kommenden Fotos drum herumgeklebt, Jahr für Jahr, wie Baumringe. Daniel war neben ihrer Familie der Einzige, der in allen Schichten vertreten war. Daniel und sie im Baumhaus, auf dem Schlitten, in einem Karussell, Daniel auf seinem Fahrrad, mit Zigarette auf dem Schulhof … Das letzte war vom Straßenfest im Juni. Es hing direkt neben den Klassenfahrtfotos, auf denen Ela mit Caro bescheuerte Grimassen unterm Brandenburger Tor gezogen hatte. Die Collage war mindestens zwei Meter breit und eineinhalb Meter hoch. Es fühlte sich so an, als würden all die Augen auf sie herabblicken, sie anklagen, und je länger sie ihr Leben betrachtete, umso hasserfüllter erschienen ihr die Blicke. Mit einem Ruck stand Ela auf und riss das Kunstwerk von der Wand. Bei jeder Bewegung schrie sie wie eine Tennisspielerin beim Aufschlag. Es dauerte eine Weile, bis alle Fotos zu ihren Füßen lagen. Das in Fetzen liegende Herz schob sie zu einem Haufen zusammen und unters Bett. Da sollte es erst mal liegen bleiben. Später konnte sie immer noch entscheiden, was damit passieren sollte.
    Sie ging ins Bad, drehte den Wasserhahn auf, wusch ihr Gesicht und trank Wasser aus ihren Händen. Als sie den Hahn wieder zudrehte, hörte sie ihre Großmutter weinen. Ela stellte sich ans obere Treppengeländer und lauschte. Die Fliesen waren angenehm kühl unter ihren Füßen und das Licht aus ihrem Zimmer warf einen langen Schatten von ihr ins Erdgeschoss. Das Wimmern klang eintönig, als wäre sie nicht richtig wach. Von Tante Waltraud war nichts zu hören, sie schien einen tiefen Schlaf zu haben. Also huschte Ela die Treppe runter in die Souterrainwohnung ihrer Großmutter. Im Schlafzimmer war es stockfinster. Tante Waltraud hatte den Rollladen heruntergelassen. Das ging gar nicht. Ihre Großmutter hasste die Dunkelheit, schon immer – selbst als sie noch eine rüstige Frau bei klarem Verstand gewesen war –, und mittlerweile hatte sie regelrecht Panik im Dunkeln. Vorsichtig zog Ela den Rollladen nach oben und das sanfte Licht der Straßenlaternen tauchte den Raum in blasses Gelb. Sofort hörte Großmutter auf zu jammern, als hätte das Licht

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