Höllenqual: Lenz’ zehnter Fall (German Edition)
nach oben fahren«, schlug er vor, »und sicherstellen, dass in der Wohnung
alles in Ordnung ist.«
Lenz, der
sein rechtes Bein auf der Krücke abgestützt hatte, nestelte an seiner Brille herum.
Als er sie auf der Nase hatte, betrachtete er eingehend die Stelle, auf die Hain
die Lampe gerichtet hielt.
»Verdammt,
du könntest recht haben«, murmelte der Chef der Mordkommission und drückte auf den
Edelstahlknopf mit der aufgedruckten 4. Dort angekommen, zückte Thilo Hain sein
kleines, braunes Lederetui, das er immer mit sich führte und dessen Inhalt ihm im
Notfall die Öffnung von verschlossenen Türen ermöglichte.
»Lass uns
erst noch mal Sturm klingeln, damit wir auf der sicheren Seite sind«, schlug Lenz
vor und legte den Finger für etwa zehn Sekunden auf den Taster. Als sich daraufhin
nichts tat, schlug Hain so fest mit der flachen Hand gegen das Türblatt, dass es
ihm in den Ohren schmerzte.
Wieder keine
Reaktion.
»Also gut,
dann bring uns mal rein.«
Der Oberkommissar
beugte sich nach vorn, betrachtete das Schloss, zog im Anschluss ein kleines Werkzeug
aus dem Etui, führte es in die Öffnung ein und bewegte es ein paar Mal hin und her.
Danach griff er zu einem etwas gröberen Metallbügel, verfuhr mit ihm auf ähnliche
Weise, und ein paar Sekunden später öffnete sich das Schloss mit einem sanften Klacken.
»Das war
schon mal nicht schlecht«, lobte Lenz flüsternd und hob eine seiner Krücken an.
»Aber ab jetzt kann ich dir nur noch assistierend zur Seite stehen.«
Hain sah
ihn mit großen Augen an.
»Ach so,
und bis jetzt hast du die Sache hier federführend betreut, oder was?«
»Mensch,
Thilo, so war das doch nicht gemeint.«
»Hat sich
aber so angehört.«
Der junge
Polizist zog seine Waffe aus dem Holster am Gürtel und schob die Tür langsam nach
vorn. Im Flur brannte die Deckenbeleuchtung. Hain bewegte seinen linken Arm weiter
nach vorn, während er den rechten darüber kreuzte und die Waffe in die Wohnung richtete.
Dann setzte er den ersten Fuß in den Flur, sah mit einer schnellen Bewegung hinter
die Tür, damit ihn dort keine Überraschung erwartete, und bewegte sich anschließend
weiter vorwärts.
Vom etwa
fünf Meter langen Flur gingen vier Türen ab; zwei auf der rechten Seite, eine auf
der linken und eine an der Stirnseite. Bis auf die vordere, die etwa 20 Zentimeter
offen stand, waren alle Zugänge zu den Zimmern geschlossen. Im gleichen Augenblick,
in dem der Kripomann die Hand auf die Klinke der ersten Tür auf der rechten Seite
legte, fiel sein Blick in das Innere des Zimmers an der Front und er musste unwillkürlich
schlucken.
»Ach du
Scheiße!«, murmelte er leise.
»Was ist
los?«, wollte Lenz aus dem Hintergrund wissen.
»Ruf die
Kollegen, Paul«, wies Hain ihn an, ohne sich zu ihm umzudrehen, »alle, wir brauchen
hier das komplette Programm, inklusive Notarzt.«
Damit bewegte
er sich mit schussbereiter, nach vorn gerichteter Waffe auf den Raum am Ende des
Flures zu, drückte die Tür mit der rechten Schulter nach innen und schluckte erneut,
denn was er sah, ließ ihm für Sekunden den Atem stocken.
Auf einem
riesigen Bett lag der über und über mit getrocknetem Blut verschmierte Körper eines
nackten Mannes. Links davon, auf dem Boden und in einer auf den ersten Blick arrangiert
wirkenden Haltung, befand sich eine Frauenleiche. Ihr bis auf einen Büstenhalter
nackter Körper lag auf dem Rücken, die Beine hatte sie übereinander geschlagen,
die Arme ausgebreitet. Ihre leeren Augen starrten auf einen Punkt an der Decke.
Hain drehte
sich nach einem abschließenden Blick um, ging zurück in den Flur, wo Lenz mit dem
Telefon am Ohr dastand, und kontrollierte die anderen Räume, in denen er jedoch
nichts Ungewöhnliches vorfand.
»Geh besser
nicht rein«, schlug er seinem Kollegen vor, während er die Waffe wegsteckte.
»So schlimm?«
»Schlimmer.«
»Schoppen-Erich?«
»Sieht so
aus, ja.«
»Ist er …?«
Der Oberkommissar
nickte.
»Ich glaube
schon.«
In diesem
Moment ertönte aus dem Schlafzimmer, in dem die vermeintlich Toten lagen, ein leises
Stöhnen.
»Verdammt«,
rief Hain leise, »der lebt noch!«
6
Maria hätte sehr gern einmal kurz
an einer Zigarette gezogen, obwohl sie das Rauchen schon vor ein paar Jahren aufgegeben
hatte. Es war kurz nach 19:30 Uhr, und die Delegation mit der Documenta-Leiterin
an der Spitze hatte soeben, begleitet von mehr als zwei Dutzend Journalisten, unter
ihrer Leitung eine Führung durch die Ausstellungsräume
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