Höllenqual: Lenz’ zehnter Fall (German Edition)
diesem Abend im Juni 2012 nur geahnt, dass der OB der Stadt Kassel
zu ihren Freiern zählte. Er wusste von Wirtschaftsmagnaten und anderen Politikern,
nicht jedoch mit 100-prozentiger Sicherheit, dass Erich Zeislinger Stefanie Kratzer
besuchte. Daraus hatte sie ein kleines Geheimnis gemacht, das sie nicht mit ihm
teilen wollte.
»Es kommt
einer, den ich schon sehr lange kenne und den ich auf keinen Fall als Kunden verlieren
will«, hatte sie ihm rigoros erklärt. Und weil Wesseling sich aus ihrer Terminplanung
und der Kundenauswahl ohnehin komplett heraushalten musste, war im Detail auch kein
weiteres Gespräch zwischen den beiden notwendig gewesen.
Der Zuhälter hob den Kopf und sah
sich um. In der von innen deutlich wertiger als von außen aussehenden Kneipe waren
außer ihm nur sechs weitere Personen anwesend. Vier Frauen, die allesamt für ihn
arbeiteten, saßen auf der Eckbank hinter einem großen Tisch und unterhielten sich
leise mit Oliver Heppner. Hinter der Theke stand ein traurig dreinblickender Kurt,
der Betreiber der Kneipe. Alle wussten, was sich in dem Penthouse zugetragen hatte,
und alle waren betroffen deswegen. Ollis Aufgabe bestand darin, den Frauen zu erklären,
dass der Mordanschlag dem OB gegolten hatte und nicht ihrer toten Kollegin.
»Ihr könnt
ganz beruhigt sein, Mädels«, beschwichtigte er die Frauen, »diese Scheiße haben
wir diesem Zeislinger zu verdanken, und nur dem. Die Steffi war einfach zur falschen
Zeit am falschen Ort.«
»Du hast
leicht reden«, widersprach Jacky, eine dralle Brünette. »Du musst nämlich nicht
deine Rübe hinhalten, wenn dieser Irre wieder auftaucht. Du hockst hier in der guten
Stube und hältst die Hand auf.«
Die anderen
Frauen nickten.
»Ich für
meinen Teil«, meinte Viola, eine der anderen Frauen, »würde am liebsten gar keinem
mehr die Tür aufsperren.«
Sie blickte
sich in der Runde um.
»Wer weiß,
vielleicht wäre das sogar das Beste.«
»Das kommt
gar nicht in die Tüte«, stellte Heppner drohend richtig. »Es ist Documenta, was
nichts weiter bedeutet, als dass in diesem Sommer der Rubel richtig rollen wird.
Ihr wisst es, und ich weiß es. Deswegen werdet ihr alle arbeiten gehen, und basta.
Und diskutiert wird darüber auch nicht mehr. Was ich euch erlaube, ist, heute Nacht
frei zu machen, wegen der Steffi und der ganzen Sache. Aber ab morgen wird wieder
ganz normal Kohle rangeschafft.«
»Aber …«, versuchte
Jacky einen weiteren Widerspruch.
»Kein Aber «,
wurde die Frau von Heppner scharf unterbrochen. »Kein Aber mehr, und jetzt
Schluss damit. Ihr habt eure Notfalltasten in den Wohnungen, und wenn etwas sein
sollte, sind entweder Maik oder ich in weniger als fünf Minuten bei euch.«
»Was der
Steffi ja auch so wunderbar das Leben gerettet hat«, ätzte Viola.
Heppner
warf der Frau einen genervten Blick zu.
»Noch einmal
zum Mitschreiben, du Dumpfbacke: Die Steffi ist tot, weil ein Irrer es auf den Bürgermeister
abgesehen hatte. Dass der noch am Leben ist und die Steffi nicht mehr, ist garantiert
ein blöder Zufall.«
»Na ja«,
winkte Mona, eine Österreicherin und die Dritte in der Runde, gelangweilt ab. »Wenn
der Killer es wirklich auf den Zeislinger abgesehen hatte, dann kann er seinen Job
ja im Hospital zu Ende bringen, wenn es sein muss. Der OB wird in den nächsten Wochen
in keinem Hurenhaus mehr auftauchen, wenn ich die Nachrichten am Radio richtig verstanden
hab. Vielleicht kratzt er eh schon bald ab.«
»Darauf
kannst du Gift nehmen«, ertönte die dunkle Stimme von Maik Wesseling, der aus dem
Halbdunkel des Schankraums aufgetaucht war und sich auf die Sitzbank fallen ließ.
»Warum?«,
wollte Jacky wissen. »Willst du ihm den Rest geben?«
Der Zuhälter
lachte bellend auf.
»Das würde
ich am liebsten machen, ja. Ist aber nicht mein Stil.«
Er ließ
seinen Blick von einer Frau zur nächsten wandern.
»Habe ich
eben gehört, dass ihr Probleme damit habt, euren Job zu machen?«, fragte er drohend.
Schweigen.
»Also war
das mehr so eine Fata Morgana für die Ohren, oder was?«
Die Köpfe
der Frauen bewegten sich langsam nach oben und unten.
»Also gibt
es keine Probleme, an denen wir arbeiten müssten?«
Allgemeines
Kopfschütteln.
»Es war
nur …«, setzte Viola an, brach jedoch ihren Satz gleich wieder ab. Wesseling
sah der Frau ein paar Sekunden lang bohrend in die Augen.
»Wenn es
nur so war, können wir es ja auch ganz schnell wieder vergessen, was meint ihr?«
»Schon klar«,
erwiderte Jacky
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