Höllenqual: Lenz’ zehnter Fall (German Edition)
Wesseling mit stierem Blick
auf die Hängelampe etwa einen Meter vor seinem Kopf teilnahmslos ab, »dass ich viel
zu ihm sagen könnte, aber ich an Ihrer Stelle würde mal die Passagierlisten von
Thai-Airways der letzten Wochen auf den Kopf stellen. Dort findet sich nämlich garantiert
sein Name.«
»Aha«, entgegnete
Hain zufrieden, »dann weilt er also im wohlverdienten Urlaub.«
Keine Reaktion
am Tisch.
»Na ja«,
fuhr der Polizist ein paar Sekunden später mit Blick auf Heppner fort, »eigentlich
ist es ja auch egal. Wir haben nämlich längst herausgefunden, dass die Ermordete
ihre Einnahmen auch an dich abgetreten hat, Olli.«
»Wer erzählt
denn so einen Blödsinn?«, brüllte Heppner so unvermittelt los, dass sowohl Hain
als auch Wesseling zusammenzuckten.
Der Polizist
lehnte sich in seinen Stuhl zurück und sah von einem seiner Gesprächspartner zum
anderen.
»Ich habe
absolut keine Lust, mit euch blöde Spielchen zu spielen, Jungs. Es steht definitiv
fest, dass die Wohnung, in der Stefanie Kratzer umgebracht wurde, auf den Namen
Ehrenreich eingetragen ist. Klar ist weiterhin, dass die Frau die Bude zum Anschaffen
benutzt hat. Ob sie das für Ehrenreich, für dich oder den Sportsfreund Wesseling
hier zu meiner Rechten gemacht hat oder gar für euch alle drei, könnt ihr mir gleich
erzählen, oder wir kriegen es eben morgen oder übermorgen heraus.«
Wieder ein
Blick in die Runde, der jedoch keine Antwort provozierte.
»Gut, dann
halt nicht«, resümierte Hain kein bisschen geknickt. »Was wir aber eindeutig noch
besprechen müssen, ist euer Alibi seit gestern Abend. Irgendwelche Einlassungen
eurerseits dazu?«
Schweigen
am Tisch.
»Wie ihr
wollt. Dann rufe ich jetzt ein paar Streifenwagen und lasse euch beide ins Präsidium
bringen, wo eine erkennungsdienstliche Behandlung ansteht, inklusive Speichelprobe
zwecks DNA-Abgleich. Und falls euch bis dahin noch nichts zum Thema Alibi eingefallen
sein sollte, könnt ihr gerne in unseren gemütlichen Zellen im Tiefgeschoss ausführlich
darüber nachdenken.«
Damit griff
der Kommissar in die Innentasche seines Sakkos und wollte sein Telefon herausziehen,
kam jedoch nicht mehr viel weiter, als das körperwarme Kunststoffteil zwischen Daumen
und Zeigefinger zu klemmen.
Die blitzschnelle
Bewegung Wesselings, als er sich nach vorn stürzte, konnte Thilo Hain mehr erahnen
als erkennen, und obwohl er seinen Körper zeitgleich spannte und zur Seite warf,
schlug die linke Faust des Zuhälters mit gehöriger Wucht direkt auf seinem rechten
Ohr ein. Vor den Augen des Polizisten tanzten sofort Sterne auf, und ihm wurde schlagartig
kotzübel. Sein Oberkörper vollführte eine leichte Drehung nach links, sodass er
mit der Brust auf die Lehne des freien Stuhls neben sich schlug, der mit einem lauten
Krachen zur Seite stürzte. Im Fallen nahm Hain wahr, dass sowohl Heppner als auch
Wesseling aufgesprungen waren und sich auf ihn zubewegten. Er rollte sich ab, schüttelte
kurz den schmerzenden Kopf und blickte in Richtung der beiden Angreifer.
13
Bernd Ahrens setzte mühsam einen
Fuß vor den anderen. Sein Kopf schmerzte, seine Augen tränten und seine Lunge mühte
sich nahezu vergeblich, Atemluft zu fördern.
›Was soll
ich nur machen?‹, dachte der Mann, dessen Haar seit dem Heiligen Abend des Vorjahrs
fast komplett ergraut war. ›Was kann ich tun, um diesem dumpfen, erdrückenden Gefühl
zu entfliehen? Was soll ich noch auf dieser Welt, die mich abstößt und dafür sorgt,
dass meine Gedanken von Tag zu Tag trister und gefühlloser werden?‹
In den ersten
Tagen und Wochen nach dem Horrorunfall war es Ahrens überhaupt nicht klar gewesen,
wie sein eigenes Leben weitergehen sollte. Dass er einen Weg finden musste, mit
dem Verlust und der Trauer fertig zu werden. Gut, er hätte nie auch nur eine Stunde
allein sein müssen; natürlich wäre immer jemand von seiner Gemeinde für ihn da gewesen,
wenn es nötig gewesen wäre. War es jedoch für ihn nicht. Der Mitarbeiter eines großen
Kasseler Möbelhauses hatte sich zurückgezogen und nur noch die allernötigsten Termine
wahrgenommen. Dazu gehörten die Treffen im Rahmen der Gemeindearbeit, die Anwesenheit
während der Gottesdienste, sowie im Rahmen seines ehrenamtlichen Engagements zwei
oder drei Besuche bei alten und kranken Menschen, die sich über seine Anwesenheit
und die Unterhaltung freuten. Sonst allerdings hatte er das soziale Leben völlig
eingestellt und die Abende zu Hause, in der viel zu groß
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