Höllenqual: Lenz’ zehnter Fall (German Edition)
Gott, glauben. Das ist mal
richtig übel.«
»Wieso?«
Der Oberkommissar
stöhnte laut auf.
»Mensch,
Paul, so schwer kann das doch nicht zu verstehen sein. Mal angenommen, einer ist
wirklich strenggläubig, so mit allem Drum und Dran. Trotzdem kann es passieren,
dass ihm, wenn er nachts durch den Park geht, einer richtig und mit voller Wucht
was auf die Mütze haut. Vielleicht überlebt er es, vielleicht stirbt er daran, aber
geholfen hat es ihm rein gar nichts, dass er an einen Gott geglaubt hat. Es ist
schlichtweg ein dummer Zufall, dass ausgerechnet er zu dieser falschen Zeit am absolut
falschen Ort war.«
»Die Wege
des Herrn sind unergründlich, vergiss das nicht.«
Nun stöhnte
der junge Polizist noch um einiges lauter auf.
»Das hat
der Pfaffe, der mich konfirmiert hat, auch immer gesagt, wenn ihm die Argumente
ausgegangen sind. ›DieWege des Herrn sind unergründlich.‹ Was definitiv
nichts anderes ist als ein grottiges Totschlagargument. Mein Gegenargument: Warum
und wie soll ich mich auf einen Gott verlassen, der irgendwie recht unzuverlässig
und sprunghaft wirkt?«
»Die dritte
gute Frage an diesem Nachmittag. Lass das nicht zur Gewohnheit werden.«
»Wie ist
es eigentlich bei dir, Paul? Glaubst du an irgendetwas?«
Lenz hob
den Kopf und sah aus dem Fenster, wo gerade zwei Autofahrer einen Hupwettstreit
austrugen.
»Ich glaube,
dass ich sterben muss, und bis dahin will ich gelebt haben. Was ich nicht glaube,
ist, dass ich mir von irgendwem vorschreiben lassen will, wie ich das zu gestalten
habe. Ich war immer der Meinung, dass Religion etwas Privates sein sollte, aber
spätestens seit einer halben Stunde bin ich davon überzeugt, dass es ganz schön
viele Menschen auf der Welt gibt, die das anders sehen. Die wollen, dass man ihre
Gedanken und Ansichten teilt, und die sind bereit, für ihren Glauben ziemlich viel
Unfug anzustellen. Und damit meine ich nicht nur die radikalen Islamisten, damit
meine ich alle Fundamentalisten dieser Welt.«
Er atmete
schwer aus.
»Von mir
aus soll jeder nach seiner Fasson glücklich werden, mit seiner Religion, mit seiner
politischen Überzeugung, mit was auch immer. Aber er sollte mich auch mit meinen
Grundsätzen und Überzeugungen glücklich sein lassen, und da sehe ich zunehmend ein
Ungleichgewicht.«
Hain nickte
zustimmend, lenkte den Wagen von der Hauptstraße auf einen gigantisch großen, jedoch
nahezu leeren Parkplatz, den er komplett kreuzte, und parkte direkt vor dem Eingang
des Möbelhauses.
›Einrichtungsparadies
Baumbach‹, prangte in großen Lettern über ihren Köpfen.
Gerade als
der Oberkommissar den Schlüssel aus dem Schloss ziehen wollte, begannen die 17:00-
Uhr-Nachrichten, und die erste Meldung ließ die Bewegung des Polizisten stocken.
›Kassel.
Nach dem feigen Mordanschlag auf den Oberbürgermeister der Nordhessischen Stadt
und dem gewaltsamen Tod seiner Lebensgefährtin tappen die ermittelnden Behörden
weiterhin im Dunkeln. Wie aus Polizeikreisen jedoch zu erfahren war, steht nahezu
zweifelsfrei fest, dass es sich bei der Tat um einen Anschlag aus dem rechtsextremen
Umfeld handelt. Offenbar stand der Name des OB auf einer Liste möglicher Opfer,
die bei der Zwickauer Terrorzelle gefunden wurde.
Aus Kassel
unsere Reporterin Ingrid Bovensiepen.
Es dauerte
einen Moment, weil offenbar zunächst der O-Ton der Kollegin nicht gestartet werden
konnte. Dann erklang die aufgeregte Stimme einer jungen Frau.
Noch immer
steht die gesamte Stadt an der Fulda wegen des überaus grausamen Mordversuchs an
Erich Zeislinger und dem gewaltsamen Tod seiner Lebensgefährtin unter Schock. Wie
uns ein Sprecher des Klinikums Kassel vor nicht einmal einer Stunde mitteilte, schwebt
der OB noch immer in akuter Lebensgefahr, und die Einwohner Kassels bangen um das
Leben ihres Stadtoberhaupts. Und nicht nur die Kasseler Bürger sind betroffen, halten
sich doch wegen der Kunstmesse Documenta zurzeit viele Tausend Besucher aus dem
In- und Ausland hier auf.
Mittlerweile
wurden die ersten Stimmen laut, die offen über einen Abbruch oder zumindest eine
zeitweilige Unterbrechung der Ausstellung nachdenken. So hat beispielsweise der
Chef der Linken-Fraktion im Kasseler Stadtparlament, Piet Villiger, einen sofortigen
Stopp gefordert. Es könne nicht sein, stellte er gegenüber unserem Sender fest,
dass auf der einen Seite der OB der Stadt und Aufsichtsratsvorsitzende der Ausstellung
mit dem Tod ringt, und auf der anderen Seite das Geschehen seinen ganz
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