Höllenqual: Lenz’ zehnter Fall (German Edition)
lesen zu können.
»Ich will
Ihnen nichts vormachen, meine Herren. Wir hatten und haben selbstverständlich vollstes
Mitgefühl mit Herrn Ahrens wegen des schweren Schicksalsschlags, den er erlitten
hat. Sie wissen sicher darüber Bescheid?«
Lenz nickte.
»Auf der
anderen Seite sind wir Teil eines profitorientierten Unternehmens, das unter anderem
dafür Sorge tragen muss, dass am Ende des Monats genügend Rendite erwirtschaftet
wird. Und Herr Ahrens hat, und das nicht erst seit dem tragischen Tod seiner Familie,
sich dieser Maxime nicht immer in ausreichendem Maß verpflichtet gefühlt.«
»Wie meinen
Sie das?«
Sie trippelte
von einem Fuß auf den anderen und sah dabei auf den Boden.
»Herr Ahrens
ist ein schwieriger Charakter, um es mal sehr vorsichtig auszudrücken. Er wurde
vor knapp drei Jahren in den Betriebsrat gewählt, was sich nach meinen Erfahrungen
mit ihm nicht gerade positiv auf seine Persönlichkeit ausgewirkt hat. Er sieht sich
als so etwas wie den Rächer der Enterbten, einen Robin Hood der Unterdrückten, wobei
es die in unserem Unternehmen überhaupt nicht gibt.«
»Das klingt
in meinen Ohren«, fasste Hain von der Seite zusammen, »als würden Sie einen Querulanten
beschreiben.«
»Querulant
haben Sie gesagt, aber einen Widerspruch werden Sie von mir nicht zu hören bekommen.
Reicht das als Antwort?«
Der Oberkommissar
nickte.
»Das alles
für sich genommen, wäre schon unerfreulich genug, aber leider gibt es eine weitere
Komponente, die für die tägliche Zusammenarbeit mit Herrn Ahrens überaus negativ
ist.«
»Ja?«, fragte
Lenz nach, weil Frau Schotzki keine Anstalten machte, eine Erklärung folgen zu lassen.
»Bitte,
verstehen Sie mich nicht falsch, meine Herren«, schickte sie voran, »und ich will
auch sehr vorsichtig sein mit meiner Bewertung seines Handelns, sonst habe ich am
Ende gleich morgen früh wieder eine Diskriminierungsklage auf dem Schreibtisch liegen.«
Sie sah
zu ihrer Mitarbeiterin an der Theke, wo sich gerade ein Kunde laut über die nach
seiner Meinung schlechte Qualität eines Regals beschwerte.
»Sie können
sicher sein, dass alles, was wir hier besprechen, unter uns bleibt. Wir werden Ihre
Worte nicht nach irgendwelchen Gleichstellungskriterien oder Antidiskriminierungsgesetzen
beurteilen.«
»Gut, dann
vertraue ich Ihnen mal. Herr Ahrens ist Mitglied einer Sekte. Ich drücke es einfach
so aus, weil ich es nicht besser kann. Er ist ein sehr gläubiger Mensch, was mir
vermutlich völlig egal wäre, wenn er es als Privatsache betreiben würde, was er
aber nicht tut. An jedem Tag, an dem er dieses Haus betreten hat, hat er versucht,
unsere Mitarbeiter, also seine Kollegen, zu missionieren. Und das darf einfach nicht
sein.«
»Wie sind
Sie damit umgegangen?«
»Zuerst
mit Gesprächen. Gutem Zureden, dass so etwas am Arbeitsplatz nichts zu suchen hat.
Das war noch mein Vorgänger, aber auch den hat das schon sehr genervt. Dann mussten
wir die erste Abmahnung aussprechen, mit dem Ergebnis, dass er sich in den Betriebsrat
hat wählen lassen, was ihn unter besonderen Kündigungsschutz stellt.«
Sie sah
von einem zum anderen Polizisten.
»Glauben
Sie mir, seit dem Unfall, also seit dem Tag, an dem er nicht mehr zur Arbeit erschienen
ist, hat sich das Betriebsklima im Haus deutlich verbessert. Und das sage ich jetzt
nicht nur so, das bestätigen mir die Kollegen ganz offen. Sogar die anderen Betriebsräte
sind völlig genervt von ihm.«
»Aber warum
haben die Mitarbeiter ihn dann zum Betriebsrat gewählt?«
»Und sogar
wiedergewählt«, fügte sie kopfschüttelnd hinzu. »Er wurde sogar für eine weitere
Periode zum Betriebsrat bestimmt. Ich kann mir das nur mit Mitleid erklären.«
»Sie sagen«,
wollte Hain wissen, »dass er seit dem Unfall nicht mehr zur Arbeit gekommen ist?
Also ist er dauerhaft krankgeschrieben?«
»Das ist
richtig, ja.«
»Wissen
Sie, warum?«
»Nein, wir
bekommen keine Informationen über die Diagnose. Vermutlich war er am Anfang wegen
der direkten Auswirkungen des Unfalls, der ja sehr schwer gewesen ist, arbeitsunfähig,
jedoch später dann …? Aber lassen wir das, ich will nicht spekulieren.«
»Wann haben
Sie Herrn Ahrens zum letzten Mal gesehen?«
»Vor einer
Woche. Er war hier, weil er eine Bescheinigung brauchte.«
»Wofür?«
»Das weiß
ich nicht mehr. Wenn es für Sie von großer Bedeutung ist, kann ich im Personalbüro
nachfragen.«
»Nein, so
wichtig ist es nicht«, antwortete Lenz.
Maren Schotzki
trat erneut
Weitere Kostenlose Bücher