Höllenqual: Lenz’ zehnter Fall (German Edition)
gehen
wir mal davon aus, dass der Typ die Wahrheitgesagt hat.
Maik hat
ihm meine Telefonnummer gegeben, sonst hätte er mich nicht anrufen können; das muss
ich als gegeben ansehen. Was könnte passieren, wenn die Sache wirklich ein Fake
ist und er mir ans Leder will?
Im Eiscafé
nichts, dort kenne ich die Leute.
Was mache
ich, wenn ich zu ihm in ein Auto steigen soll?
Dann muss
ich in der Lage sein, mich zu verteidigen.
Wie kann
ich mich am besten verteidigen?
Ich brauche
eine Pulle Reizgas.
Vielleicht
wäre es besser, einfach nicht ins Eiscafé zu gehen? Wenn es Maik wirklich scheiße
geht und er Hilfe braucht und ich ihn hängen lasse, wäre das echt nicht in Ordnung.‹
Sie kramte
nach einer Zigarette, zündete sie, noch immer zitternd, an, stand auf und schlenderte
betont langsam Richtung Rathaus. Auf Höhe der Treppenstraße bog sie nach rechts
ab und setzte ihren Weg fort, der sie an einem amerikanischen Spezialitätenrestaurant
und mehreren Kneipen vorbeiführte, während ihr der Schweiß über den Rücken lief.
Nachdem sie den Ständeplatz überquert hatte, betrat sie das dort ansässige große
Waffengeschäft und kaufte eine kleine Dose mit Reizgasspray.
»Ich hoffe,
Sie werden es nie brauchen«, gab ihr die Verkäuferin nach dem Bezahlen mit auf den
Weg.
»Ja, das
hoffe ich auch.«
Mit der
Spraydose in der Hosentasche verließ sie das Geschäft, ging langsam am Bahnhof vorbei
und hatte knapp 20 Minuten später das Eiscafé erreicht.
»Buon giorno,
Viola«, wurde sie von Marco, dem Sohn des Besitzers, begrüßt.
»Ciao, Marco.«
»Du siehst
ganz schön fertig aus«, stellte der junge Italiener ein wenig besorgt fest. »Geht’s
dir nicht gut?«
»Doch, doch,
passt schon alles.«
»Wie du
meinst.«
Sie setzte
sich an den letzten freien Tisch im Außenbereich und legte ihre Zigarettenschachtel
neben den Aschenbecher.
»Bringst
du mir einen Espresso?«
»Si, subito.«
Damit verschwand
er aus ihrem Blickfeld. Viola sah sich vorsichtig um, konnte jedoch kein Gesicht
erkennen, das optisch in irgendeiner Form zu der Stimme des Mannes, der sie angerufen
hatte, gepasst hätte. Die meisten der Besucher waren Stammgäste, so wie sie auch,
weshalb ihr die Gesichter irgendwie vertraut vorkamen. Während sie nach den Zigaretten
griff und sich eine anzündete, bemerkte sie zufrieden, dass sie ihre Hände und den
Rest ihres Körpers wieder unter Kontrolle hatte. Ruhig und völlig ohne Zittern gehorchten
ihr die Finger.
»Ciao, Signora
Viola«, hörte sie neben sich, hob den Kopf und sah in das freundliche Gesicht von
Salvatore Caccuri, dem Besitzer der Eisdiele.
»Hallo, Salvatore.«
»Un Espresso per lei.«
»Grazie«,
erwiderte sie leise.
Damit machte
sich der Gelataio auf den Weg zu einem anderen Tisch, wo die Besucher darauf warteten,
bezahlen zu können. Viola Bremer lehnte sich zurück, schloss die Augen und überlegte
erneut, einfach aufzustehen und wegzugehen.
Das kannst
du nicht machen, Baby! Maik war immer fair zu dir. Denk nur dran, wie lieb er sich
um dich gekümmert hat, als es dir nach der Fehlgeburt im letzten Jahr wirklich dreckig
gegangen ist. Du kannst ihn jetzt nicht einfach hängen lassen.
Sie kippte
den Kaffee hinunter, nahm einen letzten Zug an der Kippe und drückte sie aus. Im
gleichen Moment, in dem sie sich einen weiteren Espresso bestellen wollte, meldete
sich ihr Telefon.
»Ja.«
»Schön,
dass Sie es geschafft haben. Das wird Maik sehr freuen.«
Viola sah
auf die Uhr.
»Wir sind
erst in einer dreiviertel Stunde verabredet.«
»Das macht
nichts«, erwiderte der Fremde freundlich. »Sie sind da, ich bin da, und Maik wartet
ohnehin auf uns.«
»Und wenn
ich es mir anders überlegt habe?«
»Dann würde
ich es zwar bedauern, könnte es aber nicht ändern. Und unser gemeinsamer Freund
ebenfalls nicht.«
»Maik ist
Ihr Freund?«
»Seit ganz
langer Zeit, ja. Wir kennen uns aus Leipzig.«
»Sie klingen,
offen gestanden, nicht gerade wie jemand aus Leipzig.«
»Das trifft
auch auf Maik zu. Wir haben uns den Akzent zur gleichen Zeit abtrainiert.«
Nun war
Viola wirklich baff. Aufgefallen war es ihr zwar nie so richtig, vermutlich auch
deshalb, weil sie nicht darüber nachgedacht hatte, aber der Mann am Telefon hatte
recht. Sowohl er als auch Maik sprachen reines Hochdeutsch.
»Wo sind
Sie?«, wollte sie schließlich wissen.
»Ich parke
in einer Seitenstraße. Wenn Sie möchten, hole ich Sie sofort ab.«
Ein letztes
Überlegen.
»Gut. Ich
bezahle meinen Kaffee,
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