Höllenritt: Ein deutscher Hells Angel packt aus (German Edition)
Club komplett auffliegen zu lassen. Die Bullen wollten meine ehemaligen Brüder für lange Zeit festsetzen. Ich wollte nur, dass sie meine Schwester beschützen. Deshalb musste ich ihnen helfen.
Dabei gab es viel zu beachten. Zum Beispiel wurde mir erklärt, dass es nicht ratsam wäre, eine Anzeige wegen des Moppeds zu machen. Die Harley stand vermutlich immer noch bei irgendeinem Member zu Hause oder in einer Scheune, weil meine ehemaligen Brüder sie noch nicht gewinnbringend verkaufen konnten, solange sie nicht über den Fahrzeugbrief verfügten. Wenn wir eine Anzeige erstattet hätten, wären die grünen Streifenbullen auf den Plan gekommen, hätten ermittelt und meine ehemaligen Brüder so vorgewarnt. Die zuständigen Beamten vom Kommissariat wollten alles im kleinen Kreis vorbereiten. Ich fragte mich, ob sie nicht einmal genügend Vertrauen in ihre eigenen Leute hatten.
Die Gespräche mit den Beamten liefen immer nach dem gleichen Muster ab: Einer schrieb das Protokoll am Laptop mit, der andere stellte mir die Fragen, und ich beantwortete sie. Das ging so über mehrere Wochen. Ein Termin jagte den nächsten. Für meine Schwester und mich wurden diese Treffen langsam zur Routine. Nachdem wir alles bald zehnmal durchgekaut hatten, sollte der Zugriff stattfinden: eine Großrazzia in ganz Deutschland.
In den sieben Monaten, in denen die Vorbereitungen liefen, gab es keine Sicherheitsmaßnahmen. Es wäre zu auffällig gewesen, wurde uns erklärt. Wir sollten unseren Alltag genauso gestalten wie vorher. Erst eine Woche vor dem Zugriff wurden wir nach Frielendorf gebracht, etwa fünfzig Kilometer von Kassel entfernt, knapp neuntausend Einwohner. Im dortigen Ferienpark hatten die Bullen uns ein Haus gemietet. Sie erzählten dem Betreiber, dass wir ein Familienfest feiern würden und Vogel mit Nachnamen hießen.
Ich wusste nicht, ob ich das gut oder schlecht finden sollte. Der erste Blick auf die Ferienhütte war ernüchternd: Eine Glastür führte ins Haus, direkt dahinter befand sich das Wohnzimmer, nicht sehr groß, aber immerhin mit Kamin, Couch, Sesseln und Fernseher. Vom Wohnzimmer aus führte eine steile Treppe nach oben, wo die Küchenzeile mit Essecke, zwei Schlafzimmern, zwei Toiletten und einem Badezimmer war. Im Haus und in der Umgebung konnten wir uns völlig frei bewegen, wir hatten keinerlei Schutz. Die Beamten empfahlen uns nur, etwas vorsichtiger zu sein.
Am 25. Oktober 2007 klingelte das Telefon. Einer der Zeugenschutzbeamten war dran. Er betonte, dass wir das Häuschen heute auf gar keinen Fall verlassen sollten. Mir war klar: Jetzt schlagen sie zu. Fünfhundert Polizisten durchsuchten seit fünf Uhr morgens Clubhäuser und Wohnungen in Nordhessen, Südniedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen, insgesamt vierundzwanzig Objekte. Sie fanden Waffen, Munition, Drogen, Geld, Handschellen und sogar den Ausweis einer Polizistin. Auch einige meiner persönlichen Sachen, die mir bei dem Raubüberfall in meiner Wohnung geklaut wurden, tauchten wieder auf, darunter meine Klamotten, eine goldene Uhr, die Sitzbank und der Auspuff meines Moppeds. Aus der Presse erfuhren wir, dass elf Haftbefehle vollstreckt wurden. Auch meine ehemaligen Kasseler Brüder kamen in Untersuchungshaft. Bis zu ihrem Prozess im Mai 2008 saßen sie wegen bewaffneten Raubüberfalls, wegen Verstößen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz oder das Betäubungsmittelgesetz.
Anfang November 2007 fuhren wir zurück nach Kassel. Ich hatte keine Lust mehr auf das Versteckspiel. Ich freute mich auf meine Wohnung, meine eigenen vier Wände, auf eine Cola und eine Selbstgedrehte. Morgens aufstehen, Kaffee trinken, ein bisschen Rauchen. Abends wollte ich endlich mal wieder in meiner eigenen Badewanne sitzen und danach wieder ein hei-
Funde bei der Razzia (Quelle: picture alliance)
ßes Mädchen mit knackigem Hintern und festen Titten an meiner Seite haben – ficken bis der Arzt kommt und dabei Rock ’n’ Roll hören. Doch daraus sollte nichts werden. Da die Bullen nämlich unsere Gefährdung nicht einschätzen konnten, wurden wir jetzt rund um die Uhr bewacht. Die Polizei befürchtete Racheakte der Hells Angels aus der ganzen Welt.
Zuerst wurden unsere Wohnungen abgesichert: In jeder Etage des Treppenhauses wurde ein blickdichter schwarzer Vorhang angebracht. Auf meinem Balkon installierten sie eine Lichtalarmanlage mit einem Bewegungsmelder. Die Fenster sollten den ganzen Tag geschlossen und die Jalousien unten bleiben. Wir
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