Höllenschlund
auf und legte den Deckel an seinen Platz zurück.
Er ließ den Lichtkegel über die Grabwände gleiten und las die in den Stein geritzten Buchstaben. Die Wörter, die sie bildeten, waren im Arabisch des 1. Jahrhunderts vor Christus geschrieben, das seit über tausend Jahren nicht mehr benutzt wurde.
»Mist«, murmelte er.
Saxon tätschelte das Bild auf dem Deckel. »Schlaf gut, Schätzchen. Tut mir leid, wenn ich dich gestört habe.«
Nach einem letzten traurigen Blick durch den Grabraum ging er denselben Weg zurück zum Schacht. Ächzend arbeitete er sich durch den engen Gang nach oben und zog seinen staubigen Körper aus dem Loch in die vierzig Grad heiße Luft. Seine Hosen waren zerrissen, seine Knie und Ellbogen zerschrammt und blutig.
Das Gesicht des Beduinen zeigte einen erwartungsvollen Ausdruck. »
Bilqîs?
«, fragte er.
Anthony Saxons Antwort bestand in einem schallenden Lachen. »Eher ein
billiger Trick
, würde ich sagen.«
Die Mundwinkel des Beduinen sanken herab. »Kein Königin.«
Saxon rief sich das Porträt auf dem Sarkophag ins Gedächtnis. »Vielleicht eine Prinzessin. Aber nicht die Königin von Saba.«
Am Fuß des Hügels ertönte eine Hupe. Ein Mann stand neben einem zerbeulten Landrover und winkte. Saxon winkte zurück, schlüpfte in sein Wüstengewand, wickelte sich den Turban um den Kopf und ging den steilen Weg hinunter.
Der Mann, der die Hupe des sandbedeckten Fahrzeugs betätigt hatte, war ein aristokratisch aussehender Araber, dessen Oberlippe sich unter einem üppigen Schnauzer versteckte.
»Was ist los, Mohammed?«, fragte Saxon.
»Zeit zu verschwinden«, sagte der Araber. »Böse Männer kommen.«
Er schwenkte den Lauf seiner Kalaschnikow in Richtung einer Stelle in etwa einem Kilometer Entfernung. Ein Fahrzeug, das sich näherte, wirbelte Staub auf.
»Woher weißt du, dass das böse Männer sind?«, fragte Saxon.
»Hier in Gegend
nur
böse Männer«, sagte der Araber mit einem Goldzahnlächeln. Ohne ein weiteres Wort kletterte er hinter das Lenkrad und ließ den Motor an.
Saxon hatte Respekt vor Mohammeds Fähigkeit, ihn in der Wildwestatmosphäre im Hinterland des Jemen am Leben zu erhalten. Hier schien jeder Dorfälteste über eine Privatarmee aus Banditen zu verfügen und Raub- und Mordpläne zu verfolgen.
Er schob sich auf den Beifahrersitz. Der Beduine stieg hinten ein. Mohammed drückte das Gaspedal durch. Schmutz und Sand spritzten von den Reifen. Beim Hochschalten gelang es dem Fahrer, zu steuern und gleichzeitig die Waffe im Anschlag zu halten.
Mohammed blickte regelmäßig in den Rückspiegel. Nach ein paar Minuten tätschelte er das Armaturenbrett, als wäre es der Hals eines treuen Rosses.
»Wir haben geschafft«, sagte er mit einem breiten Grinsen.
»Haben Sie Königin gefunden?«
Saxon erzählte ihm von dem Sarkophag und der Mumie des jungen Mädchens.
Mohammed zeigte mit dem Daumen nach hinten auf den Beduinen. »Ich habe Ihnen gesagt. Dieser Sohn eines Kamels und sein ganzes Dorf sind Gauner.«
Der Beduine glaubte, man hätte ihn gelobt, und setzte ein zahnloses Grinsen auf.
Saxon seufzte und blickte auf die ausgedörrte Landschaft.
Die Schauplätze wechselten, aber der Ablauf war immer derselbe. Ein einheimischer Bauernfänger erzählte ihm begeistert, dass die Königin im wahrsten Sinne des Wortes direkt vor seiner Nase liege. Schließlich unternahm Saxon also eine haarsträubende Kletterpartie in eine alte Grabstätte, die wahrscheinlich schon vor Jahrhunderten von den Vorfahren des Bauernfängers geplündert worden war. Er konnte die vielen Mumien, die er in der Zwischenzeit gesehen hatte, schon gar nicht mehr zählen. Er hatte eine Menge netter Leute auf seinen Reisen getroffen. Zu schade, dass sie alle tot waren.
Saxon drückte dem erfreuten Beduinen ein paar Rial in die Hand und lehnte das Angebot des Mannes ab, ihm eine andere tote Königin zu zeigen.
Mohammed setzte den Beduinen vor mehreren Wüstenzelten ab und fuhr weiter nach Ma’arib. Saxon wohnte in einem Hotel, das
Garden of the Two Paradises
hieß. Er bat Mohammed, am nächsten Morgen ins Hotel zu kommen, um über seine weitere Planung zu entscheiden.
Nach einer heißen Dusche zog Saxon lange Baumwollhosen und ein Hemd an und ging hinunter in die Lounge. Sein Mund fühlte sich an, als hätte er ein ganzes Pfund Wüstensand verschluckt. Also setzte er sich an die Bar und bestellte einen Martini mit Bombay Sapphire. Und bald spülte die durchdringende Süße des Drinks den
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