Höllenschlund
hatte große Fortschritte gemacht, seit die IIP 1914 gegründet worden war, um die Wiederholung einer Katastrophe wie jene mit der
Titanic
zu vermeiden. Trotz technischer Verbesserungen wurde das Auffinden jedoch mehr als Kunst denn als Wissenschaft betrachtet.
Der Lotse versuchte herauszufinden, ob es sich bei dem Objekt eher um einen Eisberg oder um ein ankerndes Fischerboot handelte. Ein gleichmäßig geformtes Objekt in Bewegung wäre ein Schiff. Doch der Leuchtpunkt bewegte sich kaum und zeigte auch keine Kielspur. Sein geübtes Auge konnte den Schatten erkennen, wo es auf der Rückseite des Objekts kein Radarsignal gab; ein Zeichen dafür, dass das Ziel größer war als ein Schiff.
Eisberg.
Er meldete dem Cockpit das gesichtete Objekt und den Standort, und das Flugzeug änderte den Kurs in nördlicher Richtung.
Der Nebel, der über der Wasseroberfläche hing, verhinderte bis zur letzten Minute eine Sichtung. Das Flugzeug ging in den Sinkflug, bis es sich nur noch ein paar hundert Fuß über dem Wasser befand. Die Nebelfelder klarten auf und gaben einen Eisberg frei, der am einen Ende eine schmale Spitze aufwies. Dann verdichtete sich der Nebel wieder.
Doch der kurze Blick hatte genügt.
Das Flugzeug übermittelte alle Daten zur Zentrale der Ice Patrol in Groton, Connecticut. Dort errechnete ein Computer die wahrscheinliche Drift des Eisbergs. Eine Warnung wurde als amtliche Bekanntmachung über Funk an das gesamte Seegebiet geschickt. Der Bericht wurde auch von einer Beech Super King der Provincial Airlines gehört, die mit der Offshore-Bohrindustrie einen Vertrag hatte, über der Neufundlandbank zu patroullieren.
Die zweimotorige Maschine folgte den gesendeten Koordinaten. Der Nebel verzog sich, und nun konnte das Flugzeug sein Ziel problemlos finden. Nachdem es ein paar Mal im Tiefflug vorbeigezogen war, funkte der Pilot eine Bestätigung der Sichtung an die Bohrinseln und Schiffe in der Umgebung.
Die
Leif Eriksson
war gemächlich dahingefahren, als sie die dringende Nachricht erhielt. Augenblicklich ließen die Zwillingsdiesel mit ihren zehntausend PS lautstark die Muskeln spielen. Mit einer schäumenden Kielspur im grauen Wasser brauste das Schiff wie ein Motorradbulle los, der einen Raser verfolgte.
Austin war gerade auf der Brücke und studierte mit Zavala eine Tabelle, als der Bericht über die Funklautsprecher hereinkam.
»Unser vermisster Moby?«, frage Austin den Kapitän.
»Kann sein«, sage Dawe. »Die Beschreibung passt. Wir wissen bestimmt bald mehr.«
Dawe befahl dem Maschinenraum, die Geschwindigkeit zu drosseln. Wattige Nebelfetzen zogen um den stampfenden Bug herum. Innerhalb von Minuten umhüllte ein blasser Dunst das Schiff wie ein nasses Geschirrhandtuch. Man sah gerade noch so weit, wie man spucken konnte. Das Schiff tastete sich vorwärts, wobei es von seinen elektronischen Augen gänzlich abhängig war.
Der Kapitän ließ den Radarschirm nicht aus dem Blick und erteilte dem Steuermann von Zeit zu Zeit Befehle zur Kursänderung. Das Schiff bewegte sich im Schneckentempo voran; die Atmosphäre auf der Brücke war zum Zerreißen gespannt. In der Nähe der Grabstelle der
Titanic
kam das Schiff in unruhige See. Sogar mit einer elektronischen Ausrüstung, die ein Spielzeugboot in einer Regenpfütze aufspüren konnte, waren Kollisionen mit Eisbergen nicht ungewöhnlich und manchmal sogar tödlich.
Der Kapitän gab ein kryptisches Brummen von sich und blickte vom Radarschirm auf.
»Habe ich Ihnen schon erzählt, was ein Neufi als Moskitoschutz benutzt?«, fragte er grinsend.
»Eine Schrotflinte«, sagte Zavala.
»Der Moskito stürzt ab, wenn man ihm die Landelichter ausschießt«, fügte Austin hinzu.
»Den kannten Sie wohl schon. Keine Sorge, wir werden schon noch richtige ›Neufis‹ aus Ihnen machen.«
Nachdem sich die Anspannung ein wenig gelöst hatte, wandte der Kapitän seine Aufmerksamkeit wieder dem Radarschirm zu. »Der Nebel lichtet sich ein wenig. Halten Sie Ausschau. Und zwar ab jetzt ununterbrochen.«
Austin starrte ins Grau. »Wir sind in guter Gesellschaft«, sagte er und durchbrach die kathedralenartige Stille auf der Brücke.
Wie in einem Traum tauchten die geisterhaften Umrisse eines riesigen Eisbergs drohend auf. Innerhalb von Sekunden wurde der Brocken immer greifbarer. Er stieg zu einem stolzen Gipfel an, so hoch wie ein fünfzehnstöckiges Gebäude.
Im grellen Licht der Sonne erstrahlte der Berg in Knochenweiß, abgesehen von den himmelblauen
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