Höllenschlund
Größe und Stärke war Antonio in mancher Hinsicht ebenso empfindlich wie eine kostbare Uhr. Antonio zu drohen oder ihn auch nur zu maßregeln hätte ihn für eine lange Zeit in Depressionen gestürzt und womöglich sogar auf den Gedanken gebracht, auf eine selbstzerstörerische und sonstwie gefährliche Amoktour zu gehen.
Baltazar biss die Zähne zusammen und verstärkte seinen Griff um die Lanze. Ein Herold in einer bunten mittelalterlichen Tracht setzte eine Trompete an die Lippen und blies einen einzigen Ton: das Startzeichen. Baltazar hob seine Lanze und stieß dem Pferd die langen goldenen Sporen in die Flanken.
Das riesige Tier grub seine Hufe in den Schlamm und setzte sich in einer täuschend langsamen Gangart in Bewegung. Der sanfte Trab hielt den Reiter jedoch so sicher im Sattel, dass er besser mit der Lanze zielen konnte. Beide Reiter hatten ihre Waffen in einem Dreißig-Grad-Winkel nach links gerichtet. Jeder hielt den Kopf zwei Fuß und die rechte Hand drei Fuß von dem Turnierzaun entfernt. Die linke Hand wurde von dem Schild geschützt.
Die Pferde beschleunigten mit donnernden Hufen. In der Mitte des Zauns trafen die beiden Reiter aufeinander.
Baltazars Gegner stieß als Erster zu. Seine Lanze traf Baltazars Schild. Die gebogene Brustplatte diente dazu, die Lanzenspitze abzulenken und so die Wucht des Aufpralls zu mildern, aber die Lanze brach, noch bevor die Spitze seitlich wegrutschen konnte. Baltazars Lanze traf ihr Ziel eine Sekunde später; die stumpfe Spitze bohrte sich in die linke Schulter des Gegners.
Im Gegensatz zu dessen Waffe brach diejenige Baltazars nicht. Sogar die stumpfe Lanze hatte einen heftigen Rammeffekt. Die Kraft von Pferd und Reiter, die sich an einem Punkt ballte, hebelte den Gegner aus dem Sattel. Er stürzte mit einem Geräusch zu Boden, das klang, als würde Schrott abgeladen.
Baltazar wendete das Pferd und warf die Lanze beiseite. Er glitt aus dem Sattel und zog sein Schwert. Der Gegner lag in einem unnatürlichen Winkel auf dem Rücken. Er ignorierte die Schmerzensschreie, stellte sich breitbeinig über ihn und hob mit beiden Händen das Schwert. Dann ließ er die Spitze herabsausen und kostete den Moment aus, bevor er das Schwert nur wenige Zentimeter vom Hals des Mannes entfernt in den Boden stieß.
Mit einem wütenden Knurren ließ er es stecken und ging auf ein Stoffzelt zu, auf dem ebenfalls das Stierkopfzeichen abgebildet war. Ein Ärzteteam, das in der Nähe gestanden hatte, kam herbeigelaufen, um sich um den verletzten Turnierkämpfer zu kümmern.
Baltazars Knappe half ihm, seine Rüstung auszuziehen.
Unter dem Kettenhemd trug er einen Schutz aus Kevlar. Sein Gegner hatte lediglich ein traditionelles Oberteil aus gepolsterter Baumwolle getragen. Baltazar war immer gern im Vorteil. Seine Lanze verfügte über einen Metallkern, der verhinderte, dass sie genauso leicht zerbrach wie die hölzerne Waffe seines Gegners.
Noch immer im Kettenhemd setzte sich Baltazar ans Steuer eines roten Bentley GTC Cabrio und verließ das Turnierfeld. Er beschleunigte den Zwölfzylinder-Doppelturbo in weniger als fünf Sekunden auf hundert Stundenkilometer.
Obwohl der Wagen über dreihundert schaffte, fuhr er nur mit halbem Tempo. Nach ein paar Kilometern bog er in eine Auffahrt ein, die zwischen gepflegten Rasenflächen zu einer riesigen Villa im spanischen Stil führte.
Er parkte den Bentley vor dem Landsitz und ging zum Eingang. Ein Haus in dieser Größe schrie zwar nach einer Menge Personal, aber Baltazar beschäftigte lediglich eine einzige Person, einen getreuen Kammerdiener, der – sehr erfolgreich – auch den Part des Küchenchefs bestritt. Baltazar bewohnte nur wenige Räume. Für Hausarbeiten ließ er Mitglieder seiner Privatarmee kommen, die in einer nahe gelegenen Unterkunft hausten, wenn sie nicht gerade über das weitläufige Grundstück patroullierten.
Der Kammerdiener empfing ihn an der Tür. Trotz der wohlerzogenen und dezenten Art war er ein Meister der Kampfkunst und als bewaffneter Bodyguard ausgebildet. Baltazar ging weiter zum Pool und zog sich nackt aus. Er schwamm in dem Olympiabecken tausend Meter und legte sich dann so lange in die heiße Wanne, bis seine Wut verraucht war. Nach dem Bad schlüpfte er in ein weißes Kapuzengewand, das einer Mönchskutte ähnelte. Selbst in der weiten Robe war Baltazar eine imposante Erscheinung. Das Gewand verbarg die kräftigen Arme und Beine, nicht aber seine breiten Schultern. Baltazars markanter Kopf
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