Höllenschlund
werfen.
Der Professor war die Verkörperung des brillanten, aber etwas zerstreuten Mathematikers. Er hatte eine Vorliebe für Tweed-Anzüge, selbst in den wärmeren Monaten, und außerdem die Gewohnheit, an seinem schneeweißen Kinnbart zu zupfen, wenn er nachdachte – was er die meiste Zeit tat.
Er sah das Dokument über den Artischockenanbau durch.
»Sie sagen, eine junge Dame von der Philosophischen Gesellschaft ist damit zu Ihnen gekommen?«
»Richtig. Sie arbeitet dort in der Forschungsbibliothek.«
»Ich hätte die Angelegenheit vermutlich nie eines zweiten Blickes gewürdigt, wenn nicht die Schablone gewesen wäre.«
Angela hatte sie Harris dagelassen. Der Professor hob das perforierte Stück Pappe auf, betrachtete es verächtlich und legte es wieder weg. »Es überrascht mich, dass Jefferson etwas so Primitives wie dies hier benutzt haben soll.«
»Ich bin immer noch nicht davon überzeugt, dass dieser Text wirklich eine Geheimbotschaft enthält«, sagte Harris.
»Es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden«, erwiderte der Professor.
Er scannte die Buchstabenreihen ein und arbeitete dann ein paar Minuten lang an seinem Computer. Auf dem Bildschirm ordneten sich die Buchstaben in immer neuen Mustern an, bis plötzlich ein Wort markiert wurde.
EAGLE.
Harris starrte blinzelnd auf den Monitor und lachte dann.
»Darauf hätten wir auch von selbst kommen können.
Eagle
war der Name von Jeffersons Lieblingspferd.«
Der Professor lächelte. »Babbage hätte seine Seele verkauft, um an einen Computer zu kommen, der nur ein Zehntel der Kapazität dieses Geräts besitzt.« Er tippte das Schlüsselwort in ein Eingabefeld ein und schickte den Befehl ab, um es für die Dechiffrierung der Botschaft zu benutzen, die er zuvor eingescannt hatte.
Der Brief, den Jefferson im Jahre 1809 an Lewis geschrieben hatte, erschien nun im Klartext auf dem Bildschirm.
Harris beugte sich über die Schulter des Professors.
»Ich kann nicht glauben, was ich da lese«, sagte er. »Das ist völlig verrückt.« Harris zog das Blatt mit der seltsamen Zeichnung hervor. »Angela glaubt, dass diese Worte in phönizischer Sprache geschrieben sind.«
»Das stimmt mit dem Gutachten überein, das Jefferson von seiner Quelle in Oxford erhalten hatte.«
Harris fühlte sich plötzlich unendlich erschöpft. »Es sieht ganz danach aus, als wären wir hier auf etwas richtig
Großes
gestoßen.«
»Andererseits könnte diese märchenhafte Geschichte genauso gut ein Betrug sein, das Erzeugnis einer blühenden Fantasie.«
»Glauben Sie das wirklich, Professor?«
»Nein. Ich halte das Dokument durchaus für echt. Die Geschichte, die darin erzählt wird, ist allerdings etwas ganz anderes.«
»Wie gehen wir jetzt damit um?«
Der Professor zupfte so heftig an seinem Kinnbart, dass Harris befürchtete, er würde ihn abreißen.
»Seeehr vorsichtig«, sagte der Professor.
17
Auf der P Street, wo die Botschaft der Republik Irak im historischen Boardman House ihren Sitz hatte, herrschte dichter Verkehr. Ein Strom von Limousinen und Luxuskarossen fuhr an dem dreistöckigen Gebäude im romanischen Stil, das in der Nähe des Dupont Circle stand, vor, um Männer in Smokings und Frauen in langen Kleidern abzusetzen, die sich für eine Abendveranstaltung zurechtgemacht hatten.
Der Portier winkte ein Taxi heran, das den Platz einer wegfahrenden Diplomatenlimousine übernahm, und öffnete die Beifahrertür. Carina Mechadi stieg aus. Ihre schlanke Gestalt wurde von einem knöchellangen Samtkleid umhüllt, dessen Schwarzbraun zu ihren Haaren passte, die zu einem Knoten hochgesteckt waren. Der runde Ausschnitt zeigte ein Dekolleté, das zwischen dezent und sexy schwankte. Ein besticktes weißes Tuch bedeckte ihre bloßen Schultern und betonte die zartbraune Haut.
Sie dankte dem Portier mit einem Lächeln, das seinen Blutdruck in ungesunde Höhen trieb, und folgte den anderen Gästen durch den bogenförmigen Haupteingang. Ein junger Botschaftsangestellter blickte auf die goldumrandete Einladung und hakte ihren Namen auf einer Liste ab.
»Danke, dass Sie zu unserem Empfang gekommen sind, Miss Mechadi. Die irakische Botschaft heißt Sie herzlich willkommen.«
»
Ich
habe zu danken«, sagte Canna. »Es ist mir eine Freude.«
Das Vestibül war vom Gesprächslärm Dutzender Gäste erfüllt. Carina blickte sich mit ihren großen blauen Augen um, unentschlossen, ob sie bleiben oder in einen Nebenraum verschwinden sollte. Die anderen Gäste, die ihre
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