Höllenschlund
Anwesenheit bemerkten, wandten sich nach ihr um, und das Stimmengewirr ebbte ab.
Carina war nicht besonders groß, aber sie hatte eine beeindruckende Präsenz, die Aufmerksamkeit zu binden schien.
Die Frauen im Raum spürten ihre weibliche Anziehungskraft und griffen instinktiv nach den Armen ihrer Begleiter. Sie entspannten sich erst wieder, als sich ein Mann mittleren Alters aus der Menge löste und auf den neu eingetroffenen Gast zuging.
Er schlug die Hacken zusammen und verbeugte sich galant. »Carina Mechadi, der Schutzengel antiker Kunstschätze, wenn ich mich nicht irre.«
Ein Journalist hatte Carina in einem Artikel für das Magazin
Smithsonian
diesen hochtrabenden Titel gegeben. Sie lächelte dankend. »Ich habe diese Bezeichnung nie gemocht, Mr ….«
»Pardon, Miss Mechadi. Mein Name ist Anthony Saxon, und ich bitte tausend Mal um Entschuldigung, falls ich Sie beleidigt haben sollte.« Er sprach mit jenem britisch angehauchten Akzent, der früher in exklusiven amerikanischen Prep-Schools kultiviert wurde.
»Nicht im Geringsten, Mr. Saxon.« Sie reichte ihm die Hand. »Wie haben Sie mich erkannt?«
»Ihr Bild war in ein paar Zeitungen zu sehen. Es ist mir eine große Freude, Sie nun persönlich kennenzulernen.« Er nahm ihre Hand und küsste sie.
Mit seinem distinguierten Äußeren, seiner übertriebenen Ausdrucksweise und dem gut sitzenden Smoking erinnerte Saxon an einen Diplomaten aus dem 19. Jahrhundert. Er war über einsachtzig groß und dabei gertenschlank. Sein dichtes grau meliertes Haar war streng zurückgekämmt und gab einen Haaransatz frei, der über den dichten Augenbrauen spitz zusammenlief und ihm einen leicht diabolischen Ausdruck verlieh. Ein bleistiftdünner Schnurrbart im Stil von Filmstars und Gigolos der Vierzigerjahre schmückte seine Oberlippe.
Sein Gesicht war vom letzten Wüstentrip noch braungebrannt.
»Gehören Sie zum Washingtoner Diplomatencorps, Mr. Saxon?«
»Weit gefehlt. Ich bin ein Abenteurer und hin und wieder auch Schriftsteller und Filmemacher. Vielleicht haben Sie mein letztes Buch gelesen,
Auf den Spuren der Königin
«, sagte er mit hoffnungsvollem Unterton.
»Ich fürchte, nein«, antwortete Carina. Und weil sie Saxon nicht vor den Kopf stoßen wollte, fügte sie schnell hinzu:
»Ich bin viel unterwegs.«
»Das haben Sie nett gesagt.« Saxon ließ wieder die Hacken knallen. »Doch es spielt gar keine Rolle, ob Sie schon von mir gehört haben. Allerdings habe
ich
eine Menge von Ihnen gehört, vor allem in Verbindung mit der Rückführung gestohlener Kunstschätze des Museums in Bagdad.«
»Sehr freundlich von Ihnen, Mr. Saxon.« Sie blickte sich um. »Sie wissen nicht zufällig, wo ich Viktor Baltazar finde?«
Saxon zog die Augenbrauen hoch. »Baltazar bereitet seine Ansprache im großen Empfangssaal vor. Es wäre mir ein Vergnügen, Ihnen den Weg zu zeigen.«
Carina verzog die Lippen zu einem amüsierten Lächeln.
»Sie sind ein vollendeter viktorianischer Gentleman«, sagte sie und nahm den Arm, den er ihr anbot.
»Eher elisabethanisch. Schwerter und Sonette. Aber ich weiß das Kompliment zu schätzen.«
Er führte sie durch die Menge in einen großen Raum mit gold und braun gewirkten Vorhängen. Ein Podium am anderen Ende wurde von Scheinwerfern, Videokameras und Mikrofonen flankiert. Ein vergrößertes Foto des irakischen Nationalmuseums hing dahinter an der Wand. Vor dem Podium waren Reihen mit Polsterstühlen aufgestellt worden.
Saxon steuerte auf ein Tête-à-Tête an der Seitenwand zu.
In vertraulichem Flüsterton erklärte er, dass diese Sitzgelegenheit hier einen guten Blick auf eintretende Gäste biete und eine einfache Flucht ermöglichte, wenn die Reden zu langatmig wurden.
Carina erkannte mehrere Außenministeriumsmitarbeiter, Politiker und Journalisten. Einige Männer und Frauen, die sich mit antiker Kunst aus dem Nahen Osten beschäftigten, kamen ihr ebenfalls bekannt vor. Als Professor Nasir den Raum betrat, erhob sie sich aufgeregt und winkte. Der Professor ging mit einem breiten Lächeln auf sie zu.
»Miss Mechadi, wie schön, Sie zu sehen!«
»Ich hatte auch gehofft, Sie hier zu treffen, Professor.« Sie wandte sich zu Saxon um. »Professor, das ist Anthony Saxon.
Mr. Saxon, Professor Jassim Nasir.«
Saxon erhob sich zu seiner vollen Größe und überragte den Iraker um ein gutes Stück. »Es ist mir eine Ehre, Ihre Bekanntschaft zu machen, Dr. Nasir. Ich bin mit Ihrer Museumsarbeit gut vertraut.«
Nasir strahlte
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