Höllenschlund
Kunstwerken, aber der Rest ist ziemlich konventionell.« Sie machte eine Pause. »Ich verstehe, was Sie meinen. Es ist gut, ein bisschen Abstand zur Arbeit zu haben.«
»Ich will zwar nicht nach Kansas ziehen, aber die See ist eine anspruchsvolle Lady. Deshalb haben sich die Kapitäne ihre Häuser früher im Landesinneren gebaut.«
»Trotzdem ist es hier sehr hübsch.«
»Damit würde ich es wahrscheinlich nicht in den
Architectural Digest
bringen, aber es ist schon ein wunderbarer Rückzugsort für einen alten Seebären wie mich. Das Haus war eine Ruine, als ich es gekauft habe, aber es liegt am Fluss und nicht weit von Langley entfernt.«
Bei Langley horchte Carina auf. »Sie waren bei der CIA?«
»Unterwassergeheimdienstkram. Meistens haben wir die Russen ausspioniert. Nach dem Ende des Kalten Kriegs haben wir den Laden dichtgemacht, und ich bin als Ingenieur zur NUMA gegangen.«
Trotz Austins Zurückhaltung zeigten sich seine Vorlieben an den Wandregalen, die mit Seeabenteuern von Joseph Conrad und Hermann Melville gefüllt waren. Außerdem gab es Dutzende Bücher über Meeresforschung und -geschichte.
Die zerlesensten Bände waren die über Philosophie. Sie zog einen heraus.
»Aristoteles! Ziemlich anspruchsvoller Stoff«, sagte sie.
»Bei den Philosophen klaue ich tiefsinnige Zitate, damit ich schlauer wirke, als ich bin.«
»Hier geht es nicht nur um ein paar Bonmots. Diese Bücher sind wirklich gelesen worden.«
»Sie sind sehr aufmerksam. Ich versuche es mal mit einer Analogie zum Meer. Die Weisheit auf diesen Seiten, das ist mein Anker, wenn ich dabei bin, in trübe Gewässer abzudriften.«
Carina dachte über Austins warmherzige Art und die Entschlossenheit nach, mit der er ihren Angreifer kaltblütig erledigt hatte. Sie stellte das Buch ins Regal zurück. »Die Pistolen über dem Kamin sprechen jedenfalls eine deutliche Sprache.«
»Sie haben meine Sammelleidenschaft entdeckt. Ich habe um die zweihundert Paar Duellpistolen, die meisten davon in einem feuersicheren Tresor. Sowohl ihre Geschichte als auch die Kunstfertigkeit und Technik faszinieren mich daran. Vor allem beschäftigt mich, was sie über die Rolle des Glücks in unserem Schicksal sagen.«
»Sind sie Fatalist?«
»Ich bin Realist. Ich weiß, dass ich nicht immer alles in der Hand habe.« Er lächelte. »Aber zumindest kann ich Ihnen ein Abendessen zubereiten. Sie müssen doch hungrig sein.«
»Die wunderbaren Gerüche aus Ihrer Küche geben mir jedenfalls das Gefühl, kurz vor dem Verhungern zu stehen.« Sie reichte ihm die Flasche Wein.
»Ein Barolo«, sagte Austin. »Ich mach ihn auf und lasse ihn ein wenig atmen. Wir essen im Freien.«
Während Austin den Wein entkorkte, trat Carina auf die Terrasse hinaus. Auf dem Tisch standen Öllampen, deren buntes Glas eine festliche Atmosphäre verbreitete. Die Lichter entlang des Potomac glitzerten, und der Fluss verströmte einen leicht brackigen, aber nicht unangenehmen Geruch. Austin legte eine Platte aus seiner umfangreichen Jazzsammlung auf, und sanfte Klavierakkorde von Oscar Peterson erklangen aus Bose-Lautsprechern.
Austin kam mit zwei beschlagenen Gläsern Prosecco heraus. »Worauf wollen wir anstoßen?«, fragte er, nachdem er ihr eins gereicht hatte.
»Auf die gute Freundschaft zwischen Abenteurern«, sagte Carina.
»Darauf dass ich dich nie wieder aus den Klauen böser Männer befreien muss, Carina«, erwiderte er grinsend.
Sie tranken den italienischen Schaumwein zur Vorspeise:
Prosciutto di Parma auf Honigmelone. Dann entschuldigte sich Austin und kehrte mit Tellern voller Fettuccine in Buttersauce zurück. Carina wurde beinahe ohnmächtig, als er die Nudeln mit geriebenem weißen Trüffel bestreute.
»Mein Gott! Wo hast du hier in den Staaten solche Trüffel gefunden?«
»Hab ich gar nicht. Ein Kollege von der NUMA reist regelmäßig nach Italien.«
Carina verschlang die Fettuccine und ebenso den zweiten Gang, ein sautiertes Kalbskotelett und einen Pilzsalat mit Käse und – auch hier sehr passend – weißem Trüffel. Dazu leerten sie die Flasche Wein. Erst beim Dessert wurde sie etwas langsamer. Als sie den Löffel in Cherry-Garcia-Eiscreme von Ben & Jerry’s tauchte, sagte sie: »Das ist
magnifico
. Neben all deinen anderen Fähigkeiten bist du auch noch ein Spitzenkoch.«
»
Grazie
«, sagte Austin. Er war überrascht von Carinas Appetit, der ihm gefiel. Ein guter Hunger verriet oft auch Appetit in anderen Bereichen. Sie beendeten das Mahl mit kleinen
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