Höllenschlund
warten sollte, während er zu dem kleinen Restaurant ging. Eine Minute später kehrte er mit einem Korkenzieher zurück.
»Ich finde eigentlich, jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um Wein zu trinken«, bemerkte sie mit säuerlicher Miene.
»Das sehe ich genauso«, sagte Austin und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Ein kaltes Bier wäre besser.«
Er bat Carina aufzupassen. Dann bückte er sich zwischen den Autos, als wollte er sich die Schnürsenkel zubinden, und stieß den Korkenzieher in einen Reifen des anderen Wagens.
Er bohrte mit der Spitze herum, bis ein gummiartiger Widerstand nachgab und er einen Luftzug an der Hand spürte. Sicherheitshalber schlug er auch noch ein paar Mal gegen das Ventil.
»Was tust du da?«, fragte Carina.
»Ich sorge dafür, dass unsere Freunde verstehen, wie sehr sie mir am Herzen liegen«, sagte Austin mit einem boshaften Grinsen.
Er setzte sich hinter das Lenkrad des Renault, ließ den Motor an und preschte mit durchdrehenden Reifen auf die Straße.
Austin raste wie ein Grand-Prix-Fahrer. Carina dirigierte ihn mit der Karte im Schoß, bis sie Fethiye erreichten, eine Marktstadt an der Küste – und zugleich ein Urlaubsort. Er fuhr direkt zum Hafen. Dort gingen sie am Kai entlang, an den breiten Holzbooten vorbei, mit denen Touristen Tagesausflüge machen und zum Tauchen fahren konnten.
Am Anlegeplatz eines etwa fünfundvierzig Fuß langen Bootes blieb er stehen. Ein Schild verkündete, dass die
Iztu-zu
, auf Türkisch »Schildkröte«, stunden- oder tageweise gemietet werden konnte.
Austin ging an Bord und rief ein »Hallo!«. Ein Mann in den Vierzigern kam aus der Kabine. »Ich bin Kapitän Mustafa«, sagte er mit einem freundlichen Lächeln. »Möchten Sie das Boot mieten?«
Der Kahn war zwar nicht mehr neu, aber gut in Schuss.
Die Metallteile waren frei von Rost, das Holz war poliert, und die Leinen hatte man ordentlich aufgerollt. Daraus schloss Austin, dass Mustafa ein fähiger Seemann war. Wenn er immer noch im Hafen lag, war er einem Geschäft bestimmt nicht abgeneigt. Austin zog die Karte hervor, die er Salim gezeigt hatte, und tippte auf eine bestimmte Stelle an der Küste.
»Können Sie uns dorthin bringen, Kapitän? Wir würden gern ein bisschen Schnorcheln.«
»Aber natürlich. Ich kenne alle guten Stellen. Wann?«
»Wie wäre es mit … jetzt gleich?«
Austin erklärte sich mit dem Preis einverstanden, den Mustafa vorschlug, und winkte Carina, an Bord zu kommen.
Mustafa machte die Leinen los und legte ab. Dann steuerte er das Boot in die Bucht und folgte schließlich der zerklüfteten Küste. Sie kamen an Urlaubsanlagen, einem Leuchtturm und Luxusvillen in den Hügeln vorbei. Bald hatten sie alle Anzeichen menschlicher Besiedlung hinter sich gelassen.
Mustafa lenkte das Boot in eine halbmondförmige Bucht und stellte den Motor ab. Er warf den Anker und kramte ein paar ramponierte Schnorchel, Tauchermasken und Schwimmflossen hervor.
»Wollen Sie schwimmen?«
Austin hatte mit halb zusammengekniffenen Augen zu einem Teil der Felswand hinaufgeblickt, wo das Gestein wie eine offene Wunde freilag. »Vielleicht später. Jetzt würde ich gern erstmal an Land gehen.«
Mit einem Schulterzucken legte Mustafa das Tauchzeug wieder weg. Er hängte eine Leiter über die Bordwand und holte das Beiboot heran. Austin ruderte die kurze Strecke bis zum Ufer und zog das Boot auf den steinigen Strand. Nach nur wenigen Metern stieg das Gelände steil an. Austin benutzte Bäume und Sträucher, um nach oben zu klettern, bis er sich fünfzig Meter über dem Meeresspiegel befand.
Er stand auf einem Felssims, der sich wie der Augenbrauenwulst eines Neandertalers aus der Felswand schob. Auf einer Breite von etwa hundert Metern war das Gestein wie mit einem riesigen Meißel abgetragen worden. Austin vermutete, dass die Stabilität der Klippe durch das Felsgrab gelitten hatte, vielleicht in Verbindung mit natürlichen Schwachstellen, und nach den heftigen Erschütterungen des Bebens hatte das Ganze dann völlig den Halt verloren. Riesige Felsblöcke lagen am Fuß der Klippe und im Wasser.
Austin fragte sich, ob die Statue einen solchen Sturz überhaupt überstanden haben konnte. Dann winkte er Carina zu, die ihn beim Klettern beobachtet hatte, und machte sich wieder an den Abstieg. Er schwitzte in der Hitze und von der Anstrengung, seine Kleidung war verschmutzt. Er tauchte mit Shorts und Hemd ins Wasser, um sich zumindest oberflächlich vom Schmutz zu befreien.
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