Höllenschlund
horizontalen Schnitt ausführen.
»Die mache ich nicht mehr. Hat niemand gekauft.«
Austin dachte sorgfältig über seine nächste Frage nach.
»Hat der Eunuch einen Großvater?«
Salim sah ihn zunächst verwirrt an, doch dann breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus. Er beschrieb weite Bögen mit den Armen, als wollte er einen großen Kreis andeuten.
»
Büyük. Der große
Eunuch.«
»Richtig.
Büyük.
Wo ist er?«
»Im Lykiergrab. Sie verstehen?«
Austin hatte die seltsamen lykischen Felsgräber bemerkt, die in großer Höhe aus den steilen Klippen gehauen worden waren. Die Eingänge waren mit Säulen und dreieckigen Giebeln verziert, die an klassische griechische oder römische Tempel erinnerten.
In gebrochenem Englisch erklärte Salim, dass er sich schon immer für Kunst interessiert hatte. Als junger Mann hatte er die Umgebung mit Zeichenblock und Kohlestift erkundet und nach Motiven gesucht. Eines Tages hatte er ein lykisches Grab gefunden, das den Bewohnern seines Dorfes unbekannt war. Es war in eine Felsklippe über dem Meer gehauen worden und wegen des dichten Bewuchses aus der Ferne nicht zu erkennen gewesen. Er war hineingegangen und hatte in der Höhle eine Statue entdeckt und sie gezeichnet. Als er später nach Vorbildern suchte, die er aus Ton modellieren konnte, hatte er sich an dieser Zeichnung orientiert.
»Wo ist die Statue jetzt?«, fragte Carina mit wachsender Aufregung.
Salim zeigte auf den Boden. »Erdbeben.« Die Felsklippe war ins Meer gerutscht.
Carina war sichtlich enttäuscht, aber Austin ließ nicht locker. Er zog eine Karte der Küste hervor und bat den alten Mann, ihm die Stelle zu zeigen, wo sich das Grab befunden hatte. Salini tippte mit einer Fingerspitze auf die Karte.
Carina griff nach Austins Arm. »Kurt«, sagte sie. »Diese Männer waren gestern Abend in unserem Hotel.«
Die Türken waren am Rand des Kirchhofs stehen geblieben und blickten unverwandt zu Carina und Austin hinüber.
Auch Austin erinnerte sich jetzt, die beiden Männer in der Lobby gesehen zu haben. Ihre Anwesenheit im Dorf war also kein Zufall.
»Du hast recht«, sagte er. »Von Istanbul bis hierher ist es ein weiter Weg.«
Er zog eine Handvoll Lira aus der Hosentasche und drückte sie Salim in die Hand. Er nahm sich einen Keramikteller, dankte dem alten Mann für die Informationen und legte einen Arm um Carinas Taille. Dann sagte er zu ihr, dass sie so lässig wie möglich zur Kirche gehen sollte.
Er führte sie durch den Eingang in das leere Gebäude und schlich sich dann zu einer Fensteröffnung ohne Glas und Rahmen. Als er vorsichtig auf den Hof blickte, sah er, wie sich die Männer mit Salim unterhielten. Der alte Künstler zeigte auf die Kirche. Die Männer brachen das Gespräch ab und kamen auf das Gebäude zu. Doch nun schlenderten sie nicht mehr, sondern bewegten sich schnell und mit zielstrebigen Schritten.
Austin sagte zu Carina, dass sie durch eine Fensteröffnung in der gegenüberliegenden Wand hinausklettern sollte. Er folgte ihr, dann stiegen sie einen Kiespfad zu einem Hügel hinauf, von dem aus man die Kirche überblicken konnte.
Carina versteckte sich in einer kleinen Kapelle auf dem Hügel, und Austin warf sich flach auf den Boden. Ihre Verfolger hatten sich getrennt und entfernten sich nun in unterschiedlichen Richtungen von der Kirche. Schließlich trafen sie sich wieder und diskutierten hitzig miteinander. Sie trennten sich erneut und verschwanden im Labyrinth der verlassenen Häuser.
Austin holte Carina aus der Kapelle und führte sie auf der anderen Seite den Hügel hinunter. Sie sahen kurz etwas Schwarzes, das sich zwischen ihnen und der Hauptstraße bewegte. Einer der beiden Männer war unten um den Hügel herumgegangen und durchsuchte sämtliche Häuser. Austin zerrte Carina in einen Gebäudeeingang.
Er hielt noch immer den Teller in den Händen, den er eben von Salim gekauft hatte. Nun trat er aus dem Eingang, bog den Arm zurück und warf ihn wie eine Frisbeescheibe über ein Hausdach. Sie hörten, wie der Teller zerschellte, dann das Geräusch von schnellen Schritten auf knirschendem Schotter.
Austin und Carina bogen von der Hauptstraße des Dorfes ab und folgten einem steinigen Ziegenpfad zurück zur Verkehrsstraße. In weitem Bogen liefen sie fast einen halben Kilometer, bis sie wieder am Dorfeingang ankamen.
Sie gingen zu dem Renault und sahen den Wagen, den die beiden Männer direkt neben ihrem Fahrzeug geparkt hatten. Austin sagte zu Carina, dass sie
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