Höllensog
herausstellte, denn ein kühler Hauch wehte über meine Hand, erreichte auch das Gesicht und ließ mich schaudern.
Die Luft war kalt. Ich merkte auch den leichten Sog, der an meiner Hand zerrte. Die Härchen auf der Haut richteten sich auf. In der Nähe des erstarrten Sogs wirkte die Luft wie kondensiert, und zum erstenmal sah ich die Gestalten genauer.
Sie lagen oder standen inmitten des magischen Sogs. Es war kaum zu fassen, aber Menschen und Tiere waren wie zusammengepreßt. Sie lagen auf der Seite, auf dem Rücken, sie waren bewegungslos und erinnerten mich an vereiste Leichen.
An den Rändern des Sogs flimmerte die Luft. Hier war sie auch nicht so scharf abgegrenzt, denn außen verschwammen die scharfen Kanten.
Das Innere wirkte wie aus Glas gebaut, und wenn ich den Kopf anhob, dann sah ich, daß der Sog seinen Weg bis hoch in den Himmel fand. Er hatte einen riesigen Halbbogen gebildet, und wieder kam mir der Vergleich mit einem Regenbogen in den Sinn.
Es war wirklich unwahrscheinlich.
Gregor sagte etwas. Er streckte auch die Hand aus, als wollte er seine Eltern begrüßen. Ich wußte nicht, wer von den Personen sie waren.
Einige waren auch gekippt.
Sie hatten ihre Arme den Füßen der anderen entgegengestreckt.
Dazwischen quetschten sich die Tiere. Die Hunde, die Schweine, die Katzen, Ziegen und Kühe. Unglaublich…
Aber es mußte einen Sinn haben, daß dieser mit Magie gefüllte Komet seinen Schweif wieder zurückgeschickt hatte. Auch wenn dieser ›Sinn‹ als eine Entführung von Menschen in eine andere Welt angesehen werden konnte. Vielleicht zu Testzwecken, wie man ja hin und wieder lesen oder hören konnte von Personen, die in UFOs geschafft worden waren, um sie auf andere Planeten zu bringen.
War das hier ähnlich?
Gregors Stimme riß mich aus meinen Gedanken, denn er rief wieder nach seinen Eltern. Er wollte bei ihnen sein, er mußte sie einfach haben, er wollte sie auch berühren, und deshalb streckte er auch die Arme durch das Fenster.
»Vorsicht!« warnte ich ihn.
Er hörte nicht. Er nahm mich zudem nicht zur Kenntnis. Sein Arm wollte nach dem erstarrten Sog fassen, die Hände bewegten sich bereits greifend, der Körper streckte sich, und ich wunderte mich darüber, wie lang er plötzlich werden konnte.
Das lag nicht an Gregor.
Etwas anderes griff ein.
Die Kraft aus dem Sog.
Ich hörte das Heulen, als hätte jemand in ein altes Blechgefäß mit mehreren Öffnungen hineingeblasen. Das Geräusch hätte mich eigentlich warnen sollen, denn zugleich bewegte sich auch der Sog und entließ einen Kraftstrom, dem der Junge nicht entgehen konnte.
Seine Beine wurden in die Höhe gerissen. Er lag plötzlich waagerecht in der Luft, drehte mir noch den Kopf zu, als wollte er Abschied nehmen, und bevor ich ihn greifen und halten konnte, war er von dem Sog bereits erfaßt worden.
Zwischen seine Eltern wurde er hineingequetscht, so glaubte ich jedenfalls. Ich wollte nicht aufgeben und trat ebenfalls in den Strahl hinein, aber der beißende Schmerz an der Stelle auf der Brust, wo mein Kreuz hing, trieb mich zurück.
Ich blieb im Zimmer.
Ein Schlag traf mich.
Die Faust aus Luft trieb mich zurück. Ich wäre beinahe noch gefallen, hielt mich nahe der Tür an der Wand fest und starrte gegen den Strahl, der mit einem rasenden Tempo in die Höhe sauste und plötzlich verschwunden war.
Weg – einfach so. Vor meinen Augen. Ich sah ihn auch nicht mehr, als ich mich aus dem Fenster beugte und in die Richtung blickte, in die er verschwunden war.
Ich sah nichts mehr, und ich ärgerte mich, daß es dieser anderen Kraft trotz meiner Nähe noch gelungen war, auch den letzten Bewohner des Dorfes an sich zu reißen.
Wäre jetzt ein Spiegel in der Nähe gewesen und hätte ich in ihn hineingeschaut, dann hätte ich sehen können, wie ein Verlierer aussah.
Und so fühlte ich mich auch…
***
»Hast du was gesagt?« fragte Wladimir.
»Was denn?«
»Ich dachte nur…«
»Das Denken sollten wir ausschalten, Towaritsch. Es hat keinen Sinn. Was wir hier erlebt haben, das ist mit unserer Logik nicht zu erklären, das ist magischer Wahnsinn.«
Der Russe nickte. »Eine tolle Philosophie hast du.«
»Ja, irgendwo schon.«
Beide Männer begriffen es nicht. Sie hockten auf dem Kiel des gekenterten Boots und waren nicht mal in der Lage, die Köpfe zu schütteln. Sie dachten an gar nichts mehr, denn dieser Anblick hatte ihnen die Gedanken geraubt und die Gehirne geleert.
Da stand der Bogen. Kein Regenbogen,
Weitere Kostenlose Bücher