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Höllensog

Höllensog

Titel: Höllensog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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zurückgekehrt, aber er stand.
    Keine Bewegung – eingefroren.
    Menschen – Körper, Gesichter, auch Tiere. Die Bilder konnte ich gar nicht so schnell verdauen, wie ich sie sah. Man gab mir den Beweis dessen, was der Junge zuerst nur gesehen und anschließend unserem Freund Golenkow berichtet hatte.
    Ich wurde noch mutiger und trat näher an das Fenster heran. Dabei war ich dem alten Teppich dankbar, daß er meine Schritte dämpfte.
    Möglicherweise hatte mich der Junge auch gehört, nur kümmerte er sich nicht darum. Sein Blick war nach wie vor gegen die Scheibe gerichtet. Er schaute durch das Fenster, er wollte sehen, er wollte erkennen, und er wollte bestimmt auch eine Lösung.
    Wie sah die aus?
    Es gab nur eine. Er mußte sich ebenfalls in diesen gefährlichen Reigen einreihen.
    Das konnte ich nicht zulassen und ging noch einen Schritt weiter, als ich ihm meine Hand auf die Schulter legte. Es kam auf diese Sekunde an.
    Wie würde sich der Junge verhalten? Würde er schreien, durchdrehen oder irgend etwas…?
    Er tat nichts.
    Er blieb stehen, und da ich ihn beobachtete, sah ich auch, wie sich sein Mund zu einem Lächeln verzogen hatte. Dieses Lächeln blieb auch, als er die ersten Worte sprach. »Ich sehe hier alle, John. Ich kenne sie. Es sind die Leute aus dem Dorf. Auch meine Eltern sind dabei. Sogar meine Geschwister…«
    »Das ist toll, wunderbar. Freust du dich?«
    »Ja.«
    Die Antwort auf meine nächste Frage war mir wichtig. »Hast du denn schon mit ihnen auf die eine oder andere Weise sprechen können? Gab es eine Verbindung zwischen euch?«
    »Ich habe es versucht…«
    »Hast du auch gefragt?«
    »Ja…«
    »Was sagten sie?«
    »Sie… sie können nicht reden, aber ich habe Gedanken gespürt. Sie haben alle Angst. Man hat sie mitgenommen. Sie sind gefangen, der Höllensog ist so grausam. Sie haben etwas anderes gesehen. Sie werden mitgezerrt. Da ist etwas im Hintergrund…«
    »Was denn? Haben dir deine Eltern das mitgeteilt?«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Sie kennen es nicht.«
    Ich konnte ihn begreifen. Er stand hier vor einem Phänomen, vor einem Rätsel. Er schaute es an, er nahm es auch hin, aber er überriß es nicht.
    Es war einfach unerklärlich für ihn. Wenn er es erst begriff, dann würde er sicherlich durchdrehen.
    Ich verfolgte einen ganz anderen Plan, der sehr riskant war, für den ich aber die Zustimmung des Jungen benötigte. Ich ließ ihn mir noch einmal durch den Kopf gehen und fragte dann: »Macht es dir etwas aus, wenn ich das Fenster öffne?«
    Er schwieg.
    Ich wiederholte meine Frage.
    Nach einer Weile hob der Junge die Schultern, was ich als Einverständnis einstufte. Es war ihm vielleicht auch egal.
    Also schritt ich zur Tat.
    Natürlich war es riskant. Ich konnte alles zerstören, aber auch alles gewinnen. Nur mit der Bereitschaft zum Risiko konnte das Rätsel um den Kometen gelöst werden.
    Ich hob meinen rechten Arm an und griff an der Schulter des Jungen vorbei. Um den Jungen nicht zu erschrecken, bewegte ich mich dabei sehr langsam.
    Gregor sagte nichts. Er atmete kaum. Sehr flach nur. Alles, was ihn ablenkte, wollte er nicht akzeptieren. Ihn interessierte einzig und allein die Anwesenheit seiner Eltern und natürlich dieser Sog, der zur Ruhe gekommen war.
    Er nahm mich nicht zur Kenntnis. Ich war Luft für ihn. Nicht einmal zwinkerte er mit den Augen, die Wimpern zitterten nicht, keine Bewegung, nichts. Das Gesicht war bleich. Es wirkte wie eingefroren, die Augen waren nach vorn gerichtet, wirkten aber so, als würden sie die Bilder, die sie eigentlich sahen, kaum aufnehmen. Folglich konnte das Gehirn sie nicht richtig verarbeiten.
    Ich umfaßte den Holzgriff. Das Material des alten Fensterkreuzes war ebenfalls brüchig. Es sah aus wie eine alte Baumrinde, die sich irgendwann lösen würde.
    Ich drehte den Griff. Es war nicht einfach. Er klemmte, er hakte sich fest.
    Das Fenster schien lange nicht mehr geöffnet worden zu sein, und ich mußte einen zweiten Versuch unternehmen, bevor er sich bewegte.
    Dann zog ich an ihm.
    Jetzt war das Fenster offen.
    Auch in mir wuchs die Spannung an. Ich spürte meinen Magen. Gregor hatte sich noch immer nicht gerührt. Er nahm alles hin, ohne zu reagieren, denn nach wie vor faszinierte ihn der erstarrte Höllensog.
    Relativ leicht ließ sich das Fenster öffnen. Es schwang mir entgegen wie ein großer Flügel. Die Luft konnte in das Zimmer eindringen. Warme und trockene Luft, wie ich annahm, was sich aber als ein Irrtum

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