Höllenstadt
Hand ist wie die Faust Gottes.«
»Stammt das von dir?«
»Nein, von ihm.«
»Dachte ich mir.«
Wir waren vor der dicken Eichentür stehengeblieben, hinter der das Office lag. Abe klopfte höflich an, wartete einen Augenblick und öffnete die Tür.
Vorbei war es mit der Ruhe!
»Verdammter Mist, diese Computer machen mich noch irre! Irgendwann schieße ich eine Kugel in den Monitor und verbrenne die CDs.« Der Sheriff war nicht zu überhören, aber leider nicht zu sehen, denn der Computer auf dem Schreibtisch nahm uns den Blick auf ihn. Die Möbel schienen aus dem letzten Jahrhundert zu stammen, sie waren von einer Patina bedeckt, die schon Ehrfurcht einflößte.
Schreibunterlagen, eine Telefonanlage und zwei Fahnen auf der Platte fielen mir auf, die amerikanische und die irische.
Gehört hatte uns O’Brien nicht, sonst hätte er nicht weiterhin getobt. Abe nickte mir beruhigend zu und näherte sich dem Sternträger. Ich blieb etwas im Hintergrund stehen und warf einen Blick auf den Waffenschrank, in dem alte Gewehre standen.
Abe schlug mit der flachen Hand auf den Monitor. Genau in einer Fluchpause des Sheriffs, so daß dieser den klatschenden Laut hören konnte. Die Flucherei verstummte. Er holte schnaufend Luft, als wollte er zu einem fürchterlichen Donnerwetter ansetzen, da aber meldete sich bereits Abe.
»Hallo, Sheriff!«
O’Brien stöhnte nur und drehte sich in seinem Stuhl.
»Ach, der große Meister ist wieder da.«
»Ja, aber nicht allein. Ich hatte doch von einem Freund und Kollegen gesprochen. Er ist mit nach Benson City gekommen.«
O’Brien lachte. »Mußte das sein?«
»Wahrscheinlich.«
Hinter dem Computer entstand Bewegung. Der Sheriff stemmte sich hoch. Er war nicht nur eine Respektsperson, sondern zugleich auch ein Bilderbuch-Ire. Breitschultrig, stämmig. Rötliches Haar, das er sehr kurz trug. Deshalb wirkten seine Ohren auch so groß. Eigentlich war an ihm alles groß und breit: der Hals, der Brustkorb, der Kopf mit den hellwachen, grünlich schimmernden Augen. Die Sonne hatte seine Haut nicht gebräunt, sie schimmerte eher rötlich, und zahlreiche Sommersprossen verteilten sich darauf.
Er trug ein kurzärmeliges Hemd. Der Stern funkelte auf der linken Seite. Die Hose zeigte eine exakte Bügelfalte, und rechts trug er den Revolver.
Ein Nachfolger des legendären Wyatt Earp. Allerdings gab es von seiner Art viele engagierte Sheriffs in den Staaten, die auch gern in Filmgeschichten eingebaut wurden. Den Gürtel verbarg teilweise der Bauchansatz, fett war der Sternträger jedoch nicht.
Er musterte mich durchdringend, und ich hielt seinem Blick stand, was ihm wohl gefiel, denn die dünnen Lippen deuteten so etwas wie ein Lächeln an.
»Name?« fragte er.
»John Sinclair.«
Hugh O’Brien war überrascht. Er brummte etwas vor sich hin, dann schüttelte er den Kopf. »Abe sagte mir etwas von einem Freund aus England, der kommen würde.«
»Ich bin in London gestartet.«
»Ja«, dehnte er, »aber der Name hört sich nicht eben sehr britisch an, Mister.«
»Ich bin Schotte – eigentlich!«
Der Sheriff dachte einen Moment nach. Plötzlich wurde sein Grinsen richtig breit. »Schotte«, sagte er und lachte. »Das ist doch wohl ein Ding! Wirklich.«
»Wieso?« fragte ich und nahm nebenbei Abes Grinsen wahr.
»Na ja, bei Engländern bin ich stets vorsichtig. Das liegt in unserer Geschichte begründet, wie Sie vielleicht wissen, Mr. Sinclair. Oder meinen Sie nicht auch?«
»Ist völlig klar. Auch Schottland und England haben sich nie besonders vertragen.«
»Ja, ja, ja.« Er nickte. Dann kam er auf mich zu und streckte mir seine Pranke entgegen. »Sie können mich Hugh nennen, John.«
»Gern.«
Er drückte meine Hand, als wäre sie eine Apfelsine, die er ausquetschen wollte. Es gefiel ihm, daß ich dabei keine Miene verzog, und so nahm er seine Hand wieder zurück. »Über die Probleme brauche ich ja kein Wort zu verlieren. Fünf Kleinkinder sind bisher verschwunden. Zu einem sechsten Fall ist es noch nicht gekommen. Vielleicht auch deshalb nicht, weil die Leute aufpassen und ihren Nachwuchs nicht mehr aus den Augen lassen.«
»Das ist vernünftig.«
O’Brien nickte. Da der Raum sehr groß war, hatte noch eine Sitzgarnitur darin Platz finden können. Sie bestand aus vier Sesseln. Abe und ich verteilten uns. Bevor der Sheriff einen Schlüssel hervorholte, um einen Schrank zu öffnen, telefonierte er nach nebenan, um nicht gestört zu werden.
Abe Douglas stieß mich an.
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