Höllenstadt
eingefroren zu sein. Abe und ich hielten den Atem an, während wir hinter uns einen Schrei der Verzweiflung hörten.
Natürlich war uns Muriel gefolgt. Sie schien dasselbe zu sehen wie wir.
Sie wollte sich auf den Troll stürzen, aber Abe Douglas hielt sie zurück. Als das auch nichts half, schubste er sie in den Flur.
Das war nicht die feine Art, doch Fehler durch dritte Personen konnten wir uns nicht erlauben.
Der Troll war mit seiner Beute auf dem Weg zum Fenster gewesen. Er hätte dort das Rollo hochschieben müssen, um nach draußen zu klettern. Das schien er vergessen zu haben. Jetzt stand er auf dem Fleck wie angewurzelt.
Sandra war nicht erwacht. Sie schlief. Die beiden Krallenhände des Trolls hielten das Kleinkind an den Hüften fest. Es sah so aus, als wollte er uns das Baby entgegenschleudern. Auf dem Fußboden, nahe des Betts, lag das Gewehr des Wächters.
Noch war die Lage eingefroren, und wahrscheinlich erging es dem Troll schlechter als uns, denn unser Erscheinen hatte ihn völlig überrascht, während wir auf ihn vorbereitet gewesen waren.
Schießen oder nicht?
Lieber nicht. Die Gefahr, das Kind zu treffen, war einfach zu groß. Außerdem war mir ein gefangener, lebender Troll wichtiger. Durch seinen Anblick wurde meine Vermutung bestätigt. Der Entführer der Kinder war tatsächlich ein Troll, also ein Wesen aus der Sagenwelt der Kelten und Nordvölker.
Keiner tat etwas. Aber die Arme des Kobolds zitterten. Wir hörten ihn schnaufen. In unserem Rücken meldete sich Muriel Cameron mit fremd klingender Stimme. »Ich will mein Kind zurück. Verdammt noch mal, ich will es haben! Holt es mir! Ich will es zurück! Ich halte das nicht mehr aus!«
»Seien Sie ruhig, Muriel!«
Abe kümmerte sich um die Frau, was mir sehr lieb war, so konzentrierte ich mich auf den Troll.
Ich ging einen Schritt nach vorn.
Er reagierte sofort und ging zurück. Seine Laute verschärften sich. Sie sollten wohl eine Drohung sein, und sie waren es auch, denn er veränderte die Haltung des kleinen Körpers. Er ließ Sandra dabei nicht los. Seine öligen Klauenhände mit der faltigen grünbraunen Haut wanderten höher. Gleich würden sie die Kehle der Kleinen umklammern.
Deshalb riskierte ich alles.
Bevor er die Finger noch in das junge, weiche Fleisch drücken konnte, hatte ich die Distanz überwunden. Mit der Schulter und meinem gesamten Gewicht rammte ich den Körper des Trolls, der nach hinten flog, das Baby dabei aber nicht losließ. Es landete auf ihm, denn der Troll war auf dem Rücken gelandet.
Ich riß es ihm aus den Händen, bevor die Krallen zupacken konnten, bevor sie den Hals zerfetzten. Nur Stoff zerriß, aber keine Haut.
Ich drehte mich etwas zur Seite und warf Abe Douglas das Kind zu, der es sofort an seine Mutter weitergab.
Wir aber hatten den Troll!
Ich bückte mich, um nach der Beretta zu greifen, die ich während der letzten Aktion zu Boden geworfen hatte. Der Troll schien nur auf die Chance gewartet zu haben.
Er stieß sich einfach ab, um mich anzuspringen. Aus nächster Nähe sah ich sein häßliches, schon krötenähnliches Gesicht mit den vorstehenden Augen, die knollige Stumpennase und das breite Maul, aus dem grünlicher Geifer floß.
Die Krallenhände schnappten nach mir. Es waren nur Stummelfinger, aber in ihnen steckte eine gewaltige Kraft. Die Nägel wollten mein Gesicht aufreißen, doch ich war schneller, drehte den Kopf weg. So wurde ich nur gestreift, konnte dafür selbst zupacken und wuchtete den Troll in die Höhe. Ich wunderte mich über sein Gewicht. Diesmal hielt ich ihn so, wie er das Kind gehalten hatte.
Er zappelte in meinem Griff. Er jaulte und fauchte zugleich. Er war ein kleiner Teufel, und ich holte noch einmal aus, um ihn dann aus einer gewissen Höhe wuchtig zu Boden zu schleudern.
Bei dem Aufprall quietschte er und schlug mit seinen langen Armen um sich. Die Hände rissen am Teppich. Der Troll rollte sich von mir weg, aber er würde nicht entkommen, denn diesmal nahmen ihn Abe und ich in die Zange. Zudem hatten wir unsere Waffen gezogen und zielten auf ihn.
Er beruhigte sich etwas. Diesmal lag er nicht auf dem Rücken, sondern auf dem Bauch. Allerdings nicht still. Er hatte die langen Arme angewinkelt, die Hände gegen den Boden gestemmt und konnte so mit seinem öligen Körper wippen.
»Kann er sprechen?« fragte Abe.
Ich hob nur die Schultern.
Es war auch nicht nötig, denn etwas anderes passierte, was uns völlig überraschte.
»Fahr zur Hölle!«
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