Höllentage auf See: In den Händen von somalischen Piraten - gerettet von Navy Seals (German Edition)
Ich habe es nur mit vier Piraten zu tun. Sie hat die ganzen Medien am Hals.« (Stimmt!) Da lachte Matt und meinte: »Sind wir wirklich so schlimm?« Und sie erwiderte: »Ja, das seid ihr!«
Andrea lief im Haus herum und war wie betäubt. Später erzählte sie mir, dass sie eine Zeit lang das Gefühl hatte, als würde sie das außerhalb ihres Körpers erleben. Wer rechnet schon damit, dass er oder sie die Person auf dem Titelblatt der Zeitschrift People ist. Man denkt: Das kann nicht wahr sein. Das passiert nur anderen Menschen. Und zwar nicht nur das tragische Ereignis, sondern auch die Medienberichterstattung, die körperlose Stimme aus dem Fernseher, die über die intimsten Details aus dem eigenen Leben plaudert. Andrea sah ein Bild im Fernsehen und sagte: »Oh, mein Gott, es ist Richard.« Der Inhalt der Berichte war eigentlich extrem privat, aber jetzt sahen alle zu, als wäre unser Leben eigens fürs Fernsehen inszeniert worden.
Merkwürdige Dinge fielen ihr auf: In Krisenzeiten schickten Menschen offenbar gewaltige Mengen an Lebensmitteln: Lasagne, Schokoriegel, Dosen mit Keksen, Brownies. Freunde, von denen sie seit 20 Jahren nichts gehört hatte, riefen auf einmal an, Menschen, mit denen sie noch letzte Woche gesprochen hatte, hingegen nicht. Manche Leute um sie herum ärgerten sich sogar darüber, dass nicht sie im Mittelpunkt der Geschichte standen, so tragisch sie auch war. Und Andrea merkte, dass man, wenn man so sehr unter Druck steht, dazu neigt, gereizt auf Menschen zu regieren, die einem nahe stehen. »Wenn ich frustriert war, fuhr ich ein Familienmitglied an«, sagte sie. »Bei allen anderen musste man stoische Ruhe bewahren, also ließ ich meine Wut hauptsächlich an meinen Angehörigen aus.«
Es fiel ihr schwer, unauffällig das Haus zu verlassen. Aber am Donnerstagnachmittag gelang es ihr, sich davonzustehlen und über die Felder zu einer alten Nachbarin zu gehen, die allein lebt. Andrea wusste, dass sie sich bestimmt um mich und die Kinder Sorgen machte, und sie wollte ihr versichern, dass alles in Ordnung sei. Dieser kurze Spaziergang zählte zu den wenigen Gelegenheiten, an denen sie es schaffte, den Kopf frei zu bekommen und allein zu sein – einmal abgesehen von den Momenten im Badezimmer.
Der Presserummel wurde noch schlimmer. Wenn Andrea von Zimmer zu Zimmer lief, sah sie durch alle Fenster Reporter. Sie blockierten die zweispurige Straße vor dem Haus – die einzige Straße in den Ort – und versperrten die Zufahrt des Nachbarn. Als der Gouverneur von Vermont Jim Douglas anrief und fragte: »Kann ich etwas für Sie tun, Mrs. Phillips?«, sagte sie deshalb zu ihm: »Schicken Sie die Staatspolizei und vertreiben Sie die Leute aus meinem Vorgarten!« Der Stadtschreiber erbot sich, alle auf den Parkplatz des Rathauses zu lassen. Schließlich baten ihre Verwandten die Reporter, ihre Sachen zu packen und dorthin zu fahren. Da fiel Andrea ein großer Stein vom Herzen.
Später in der Woche erzählte eine Nachbarin Andrea, dass sie sich während des ganzen Trubels einmal mit einer Fernsehreporterin unterhalten hätte. Die Journalistin sagte: »Wissen Sie, ich sah Andrea einmal auf der Terrasse hinter dem Haus sitzen und wollte schon zu ihr rennen, um ein Exklusivinterview zu bekommen, aber diese Frau wirkte einfach so entspannt. Sie hatte gerade einen Moment des Friedens, und ich wollte ihn ihr nicht rauben.« Andrea war so dankbar, dass die Journalistin ihre diese paar Minuten Ruhe gönnte. Manche Reporter bewiesen echte Menschlichkeit.
Die ganze Nacht hindurch wurde sie von dem Unternehmen und den beiden FBI-Frauen auf dem Laufenden gehalten: Die Navy sei inzwischen vor Ort, und sie habe Sichtkontakt zu mir, was, wie sie später erfuhr, bei einer Geiselnahme als »Nachweis des Lebens« bezeichnet wird. »Und was macht er, bekommt er einen Sonnenbrand?«, sagte Andrea im Scherz zu ihren Freundinnen. Sie begriffen sehr wohl, dass Andreas unangebrachter Humor eine Abwehrreaktion war. Eigentlich dachte sie: Was hat Rich sich nur dabei gedacht, als er in das Rettungsboot stieg? In ihrem Innern wusste sie jedoch, dass ich klug genug war, zu tun, was nötig war. Es kam auch eine Meldung, ein Mann von dem Kriegsschiff habe mit mir gesprochen und tatsächlich meine Stimme gehört. Somit bekam sie zumindest einige klare Informationen, und dafür war sie wirklich dankbar. Am Donnerstag gaben sie ihr folgende kryptische Nachricht: »Entweder bekommen wir einen sehr schönen Karfreitag, oder es
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