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Höllental: Psychothriller

Höllental: Psychothriller

Titel: Höllental: Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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auch der Rechtsmediziner.
    Drinnen schepperte eine altmodische Klingel. Leitenbacher hasste den Ton. Er nannte ihn das Leichenscheppern. Eigentlich hasste er alles hier unten. Diese alte, mühsam aufrechterhaltene Ausstattung, das Gefühl, sich in Katakomben zu befinden, die Leute, die mit bleichen Gesichtern und der Spiegelung von Neonlicht in ihren Augen hier arbeiteten.
    Er hatte seinen Daumen schon erneut nach dem Knopf ausgestreckt, als die Tür endlich geöffnet wurde.
    »Was machen Sie denn hier?«, fragte Leitenbacher.
    In weißer Hose, weißem kurzärmeligem Hemd und weißen Sportschuhen stand ihm Dr. Schollerer gegenüber. Dieser Milchbubi von einem Arzt mit seiner albernen randlosen Brille, der kaum dem Sandkasten entsprungen war und hier schon als der kommende Starchirurg gehandelt wurde.
    »Sie sind doch gar nicht zuständig!«, setzte Leitenbacher nach.
    »Ich habe den Kollegen um Hilfe gebeten, da meine Assistentin erkrankt ist«, fiel Professor Unstätter ein, der sich aus den Tiefen des großen Saals, in dem menschliche Körper seziert wurden, näherte.
    Leitenbacher fixierte den übergewichtigen Pathologen mit dem feisten Gesicht und den wachen, flinken Augen.
    »Aha«, machte er nur.
    Protestieren hatte keinen Sinn. Hier unten war Unstätter der Chef, und mit dem war nicht gut Kirschen essen. Rhetorisch genauso gewandt wie mit dem Skalpell war Unstätters Scharfzüngigkeit allgemein gefürchtet.
    Ohne ihn zu beachten, ging Dr. Schollerer auf die Waiders zu, begrüßte sie und bekundete sein Beileid. Er verriet ihnen, dass er dabei gewesen war, als ihre Tochter gefunden wurde, was f ür Leitenbachers Geschmack schon wieder zu viel an Information war, aber er hielt sich zurück. Er blieb ebenfalls im Hintergrund, als Schollerer das Gesicht der jungen Frau entblößte, damit ihre Eltern sie identifizieren konnten.
    Die Toten hier unten waren immer hässlich, das wusste Leitenbacher aus jahrelanger Erfahrung. Dazu mussten sie nicht einmal schwere Verletzungen davongetragen haben. Es lag an der Kombination aus der strengen Kälte des Raumes, dem hellen, fahlen Licht, in dem nichts verborgen blieb, und dem absolut stillen Moment, wenn das Tuch zurückgeschlagen wurde. In einer solchen Atmosphäre war die Wahrnehmung gesteigert und überinterpretierte alles Sichtbare.
    Früher mochte die Kleine hübsch gewesen sein, die Klamm hatte sie jedoch verwandelt. Wer von tosenden Wassern über Steine und unter Baumstämmen hindurchgespült wurde, der trug übelste Verletzungen davon. Ein abgerissenes Ohr, eine Vielzahl Schürfwunden, einige Knochenbrüche. Leitenbacher hatte schon Körper gesehen, denen die Klamm praktisch die Haut abgeschmirgelt hatte.
    Frau Waider schlug beide Hände vors Gesicht, rief den Namen ihres Kindes und heulte in einem hässlichen Ton auf. Eine Reaktion, die Leitenbacher genau so erwartet hatte. Bei dem Mann allerdings hatte er sich getäuscht. Der erstarrte zunächst zur Salzsäule.
    »Ist das Laura Waider, Ihre Tochter?«, fragte Leitenbacher in sachlichem Tonfall.
    Friedrich Waider drehte sich zu ihm um. Das harte Licht der Leuchtstoffröhren spiegelte auf seinem kahlen Schädel und verlieh ihm ein unwirkliches, plastikhaftes Aussehen. Den Ausdruck in den Augen des Mannes konnte Leitenbacher nicht einordnen, wohl aber die Zornesröte, die ihm plötzlich ins Gesicht schoss. War er vorher schon ungesund rot gewesen, so wechselte er jetzt ins Violette. Waider war ein Choleriker ersten Grades, so viel stand fest, aber warum dieser Zorn? In diesem Raum trug doch niemand Schuld am Tod seines Kindes.
    Und dann spie der große Mann Leitenbacher Worte entgegen, in denen so viel Verachtung und unverhohlene Anklage lagen, dass der Kommissar reflexartig einen Schritt zurückwich.
    Als Roman um halb acht aufstand, fühlte er sich wie gerädert . Um die Trägheit und Lustlosigkeit loszuwerden, duschte er heiß und lange und frühstückte dann. Danach ging er hinaus und befreite die Einfahrt und den vorm Haus verlaufenden Bürgersteig vom Schnee. Zwischendurch blieb er auf den Stiel des Schiebers gestützt stehen und sah zu den Bergen empor. Der Himmel hatte aufgeklart. Nur leichte Wolkenfetzen trieben vor einem kühlen Blau dahin. Weiß war die vorherrschende Farbe. Zwischen den Bergen befand sich tief eingeschnitten das Höllental. Im Winter lag es ganztägig im Schatten, doch heute erschien es dank der hellen Schneedecke weniger düster und bedrohlich als sonst. Eine Täuschung, wie Roman

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