Höllental: Psychothriller
tränenerstickter Stimme.
»Ich wünschte, ich könnte dich verstehen.«
Roman parkte etwas abseits auf dem Parkplatz vor der Polizeiwache. Direkt vor dem Gebäude stand der BMW , mit dem Leitenbacher für gewöhnlich unterwegs war, daneben ein nobles schwarzes E-Klasse-Modell neuen Baujahrs – der einzige Wagen mit Augsburger Kennzeichen.
Er wollte die Eltern abpassen, sobald sie das Gebäude verließen.
Laura Waider.
Immer wieder geisterte der Name des toten Mädchens durch seinen Kopf, stets begleitet von ihrem angstvollen Blick. Das Ganze lag bereits fast vierundzwanzig Stunden zurück, und Roman begann sich zu fragen, ob er ihren Blick je wieder loswerden würde. Immer wieder ertappte er sich dabei, wie er seine Faust mechanisch öffnete und schloss. Dabei schmerzte die Muskulatur bis hinauf in die Schulter. Die ihm aufgezwungene Untersuchung hatte ergeben, dass alles in Ordnung war. Kein Muskel-oder Sehnenriss, nur eine harmlose Überanstrengung.
Laura Waider.
Der Name hatte einen ganz besonderen, melancholischen Klang in seinen Ohren. Roman würde nur zu gern verstehen, was das Mädchen in den Tod getrieben haben könnte. Vor allem aber, warum sie solche Angst vor ihm gehabt hatte. Und warum hatte ihr Vater so heftig auf den Vorwurf des Selbstmordes reagiert? Tobias hatte Recht: Er musste mit den Eltern reden. Wenn überhaupt jemand erfahren musste, was da oben auf der Brücke geschehen war, dann sie. Sie durften nicht mit der falschen Vorstellung leben, jemand habe ihrer Tochter etwas angetan.
Es hatte wieder zu schneien begonnen. Leichte, tänzelnde Flocken, die der Wind rasch von der Scheibe vertrieb. Der fehlende Schlaf machte sich jetzt bemerkbar. Romans Lider wurden immer schwerer. Als sein Kopf im Sekundenschlaf gegen die Seitenscheibe schlug, öffnete er die Tür und stieg aus. Im selben Augenblick traten zwei ältere Leute aus dem Polizeigebäude und gingen die drei Stufen zum Parkplatz hinunter. Die Frau konnte sich nur mithilfe ihres Mannes auf den Beinen halten. Beide wirkten aus der Entfernung klein und verloren.
Roman holte tief Luft und ging über den Parkplatz auf sie zu. Er hatte sich keine passenden Worte zurechtgelegt und konnte nur hoffen, sich nicht allzu ungeschickt anzustellen.
»Entschuldigung.«
Die Waiders erreichten gerade ihren Mercedes. Schwerfällig drehten sich beide zu ihm um. Ihr Anblick schockierte Roman. Schon bereute er sein Vorhaben, denn egal, was er sagte oder fragte, es würde alles nur noch schlimmer machen. Der Vater sah ihn mit einem intensiven, beinahe flammenden Blick an, wohingegen der Blick der Mutter unstet und abwesend war.
Trotz seines Fluchtreflexes trat Roman einen Schritt näher. »Mein Name ist Roman Jäger. Ich bin Mitglied der hiesigen Bergrettung. Ich … Ich war dabei, als Ihre Tochter …«
Hier versagte ihm die Stimme.
Der Vater kniff die Augen zusammen, und auch die Mutter schien ihn jetzt zu bemerken.
»Ich verstehe nicht«, sagte Friedhelm Waider. »Wo waren Sie dabei?«
Roman räusperte sich. Sein Kopf fühlte sich plötzlich ganz heiß an. »Ich war auf der Brücke, oben über der Klamm, als Ihre Tochter … als sie gestürzt ist.«
»Sie sind derjenige, der mit Laura auf der Brücke war?«, fragte die Mutter und riss ihre Augen weit auf.
Wo zuvor nur Schwärze war, glomm nun wieder Licht. Plötzlich machte sie einen schnellen Schritt nach vorn, ergriff seine Hand und umschloss sie. Ihre Hände waren eiskalt.
»Bitte«, begann die Mutter mit brüchiger Stimme, »erzählen Sie mir die Wahrheit. Dieser unmögliche Beamte da drinnen behauptet, es sei Selbstmord gewesen. Er sagt, sie sei freiwillig gesprungen. Aber das kann doch nicht sein! Das würde meine Laura doch nicht tun! Nicht wahr? Das würde sie doch niemals tun!«
Ihr Blick war ein einziges Flehen um eine andere Nachricht als die, die sie schon kannte und nicht glauben wollte. Ihr Griff wurde immer stärker, und obwohl sie klein und schmächtig war, war er schmerzhaft. Roman ließ es sich nicht anmerken.
Wie viel hatte Leitenbacher den beiden erzählt? Wussten sie, dass er ihre Tochter noch für ein paar Sekunden in der Hand gehalten hatte, ihr Leben in der Hand gehabt hatte, bevor sie ihm ent…
Pass auf, was du denkst! Sie ist dir nicht entglitten, sie hat sich aus deinem Griff befreit … Sie hatte Angst vor dir.
Durfte er es ihnen sagen?
Konnte er?
Der Blick dieser verzweifelten Mutter war beinahe noch schwerer zu ertragen als der ihrer Tochter.
»Frau
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