Höllental: Psychothriller
deswegen durfte sie nicht einfach beiseitewischen, was er gesagt hatte. Er verdächtigte jemanden, an Lauras Tod schuld zu sein. Was wusste Bernd, was sie nicht wusste? Oder Ricky oder Armin? Oder verdächtigte Bernd am Ende einen der Jungs?
Sie würde es nur von ihm selbst erfahren, aber er ging nicht ans Telefon.
Mara traf eine Entscheidung. Sie konnte und wollte nicht länger untätig hier herumsitzen. Heute noch zur Uni zu fahren hatte keinen Sinn; sie würde ohnehin nichts behalten können. Also würde sie zuerst Bernd und dann Lauras Eltern besuchen.
Sie schnappte sich Schlüssel und Handtasche und verließ ihre Wohnung. Ihr Wagen parkte noch auf dem Parkplatz vor dem Fitness-Studio. Auf dem ungepflasterten Weg lag der Schnee von der letzten Nacht, während er auf den Bürgersteigen und Straßen durch das Streusalz und die ansteigenden Temperaturen bereits geschmolzen war. Als Mara ihren Wagen erreichte, fiel ihr ein, dass sie heute eigentlich im Studio arbeiten sollte. Ihre ersten Stunden als Trainerin. Bevor sie einstieg, blieb sie in der geöffneten Tür stehen, sah zum Studio hinüber und überlegte. Sollte sie Tessa absagen? Sie hatte bestimmt Verständnis für die besonderen Umstände. Andererseits konnte es auch nicht schaden, wenn Mara durch die Arbeit den Kopf frei bekam.
Sie schob die Entscheidung hinaus, stieg ein und fuhr los.
Eine halbe Stunde später hielt sie vor dem Haus, in dem Bernd lebte. Es lag zehn Minuten außerhalb der Stadt an der Landstraße Richtung Ammersee. Von der Straße führte ein schmaler unbefestigter Stichweg zu einem alten Bauernhaus. Das Haus war von hohen Eichen umgeben und war im Sommer, wenn die Bäume dicht belaubt waren, von der Straße aus nicht zu sehen. Im trübgrauen Winterwetter wirkte es nun aber trostlos und wenig einladend. Daran änderte auch die dünne Schneeschicht nichts, die sich auf der Nordseite des Daches noch hielt.
Bernd lebte allein in dem viel zu großen Haus, seitdem seine Eltern vor zwei Jahren an die norddeutsche Küste gezogen waren. Sie würden eines Tages vielleicht zurückkehren, deshalb hatten sie das Haus nicht verkauft und ihren Sohn als Hausmeister eingesetzt. Mara fand das selbstsüchtig und fies. Da musste man ja Depressionen bekommen, wenn man allein in dieser Abgeschiedenheit lebte.
Auf dem Stichweg lag ebenfalls noch Schnee. Deutlich war eine Fahrspur zu erkennen. War Bernd weggefahren?
Mara fuhr bis ans Tor, stellte den Motor ab, stieg aus und klingelte. Das Tor war zwar nicht abgeschlossen, aber sie wollte nicht einfach so das Grundstück betreten. Wenn er da war und sie sehen wollte, würde er schon öffnen.
Das tat er aber nicht.
Mara klingelte zwei weitere Male. In der Stille konnte sie das Schellen im Haus sogar hören.
Schließlich wandte sie sich enttäuscht ab und fuhr zurück in die Stadt. Sie hatte gehofft, von Bernd vielleicht etwas zu erfahren, was ihren Besuch bei den Waiders hinauszögern oder sogar überflüssig machen würde. Diesen schweren Gang hätte sie sich gern erspart. Gleichzeitig wusste Mara aber auch, dass sie es Lauras Eltern schuldig war. Nicht mit ihnen zu sprechen wäre feige gewesen, und Feigheit konnte Mara nicht ausstehen.
Als sie die Stadtgrenze erreichte, klingelte ihr Handy.
Es war Roman. »Ich habe Torben Sand jetzt endlich erreicht. Er ist unterwegs, aber er würde sich gern heute Abend mit dir treffen. Ich habe ihm deine Adresse genannt. Er meint, er könnte so gegen acht bei dir sein. Ist das okay für dich?«
An den Hintergrundgeräuschen konnte Mara erkennen, dass Roman noch unterwegs war. Sie dachte kurz nach. Sie könnte bis kurz vor acht im Studio arbeiten und sich danach mit dem Privatdetektiv unterhalten.
»Ja, in Ordnung«, sagte sie.
»Geht es dir gut?«, fragte Roman.
»Ich kann Bernd nicht erreichen.«
»Der kriegt sich schon wieder ein. Lass ihm ein bisschen Zeit.«
»Wahrscheinlich hast du Recht. Ich fahre jetzt zu Lauras Eltern. Das fällt mir wirklich schwer.«
»Du bist stark, du schaffst das schon.«
Bernd kam nur langsam wieder zu sich. Er hatte ein Klingeln gehört, das ihm vage bekannt vorkam. Das Geräusch war wie ein Leuchtfeuer auf offener See; endlich erkannte er die Richtung, in die er sich bewegen musste. Ohne das Klingeln wäre er noch stundenlang in der Dunkelheit umhergeirrt. So aber fand er einen Weg, und der führte direkt in die Schmerzen.
Hätte er geahnt, was ihn erwartete, er wäre im Dunkeln geblieben.
Er öffnete die Augen einen Spalt.
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