Höllental: Psychothriller
Obwohl er sich nicht bewegte, schien sich in seinem Kopf alles zu drehen. Sofort rebellierte sein Magen und schickte heiße Galle die Speiseröhre hinauf. Bernd spuckte auf den Boden aus und spürte, wie sich sein leerer Magen verkrampfte. Die Kopfschmerzen wurden durch seine Bewegung geradezu infernalisch, trieben ihm Tränen in die Augen und ließen die Wurzeln seiner Zähne heiße Nadelstiche in den Kiefer aussenden.
Die Lider fest geschlossen, das Gesicht verzerrt, wartete Bernd ab. Irgendwann, wenn er sich ganz still verhielt, mussten diese Schmerzen doch nachlassen. Während er wartete, versuchte er seine Gedanken unter Kontrolle zu bekommen.
Was war passiert?
Es dauerte einen Moment, bis er alles so weit zusammenhatte, um sich ein Bild machen zu können. Er war bei Mara gewesen. Ein fremder Mann, den er schon auf der Beerdigung gesehen hatte, war bei ihr gewesen und hatte ihn aus der Bushaltestelle gezerrt. Maras Blick. Daran erinnerte Bernd sich genau. Sie hatte ihm kein Wort geglaubt, ihn sogar für verrückt gehalten. Am Ende war sie vielleicht an allem beteiligt so wie die anderen.
Wie konnte er sicher sein? Wem konnte er vertrauen?
Dann war er zu Lauras Wohnung gelaufen, das wusste Bernd noch. Er war mit dem Bus in die Stadt gefahren, so wie immer, weil sein alter Fiat schon seit Wochen nicht mehr lief. Deshalb hatte er in der Nacht, als keine Busse mehr fuhren, zu Fuß gehen müssen. Lauras Wohnung? War er drin gewesen? Nein. Daran würde er sich erinnern.
Was war nur …
Zwischen den Containern, ein Geräusch, jemand hatte ihn angegriffen, ihn mit einem Knüppel geschlagen. Sein Arm! Was war mit seinem Arm?
Bernd öffnete die Augen. Aus seiner starren Position versuchte er einen Blick auf seinen Arm zu werfen. Der schwache Versuch einer Bewegung machte ihm nachdrücklich klar, dass seine Erinnerung richtig war.
Noch mehr Schmerz.
Mit Tränen in den Augen begann Bernd sich umzusehen. Schon nach wenigen Blicken erkannte er, dass er sich im Anbau seines Hauses befand. Hier hatten seine Eltern früher drei Schweine gehalten. Das war zwanzig Jahre her, aber der Stall war nie umgebaut worden, weil niemand den Platz benötigt hatte. Bernd blickte auf die drei Metallstreben des Gatters und auf den halbrunden Trog, aus dem früher die Schweine gefressen hatten. Der Boden, auf dem er lag, war sauber. An der Wand standen Kartons gestapelt, daneben ein altes Fahrrad mit platten Reifen.
Wie war er nach Hause gekommen?
Nein. Viel wichtiger war doch die Frage, wer ihn hierhergebracht hatte.
Bernd stöhnte auf, als er erkannte, dass er zu unvorsichtig gewesen war. Er hatte Ricky falsch eingeschätzt. Ricky war ein Feigling, keine Frage, aber er schien doch zu allem fähig zu sein, wenn man ihn zu sehr in die Ecke drängte. Vielleicht hätte er das Foto nicht an die Windschutzscheibe klemmen sollen.
Nur Ricky konnte es gewesen sein, der ihn niedergeschlagen und hierhergebracht hatte.
Nein. Halt. Das war ein Denkfehler.
Was war mit Rickys Lakai?
Armin Zoltek.
»Armin wurde nicht nur überfahren, er wurde regelrecht hingerichtet«, lallte der spindeldürre Typ aus der Wohnung eine Etage tiefer. Da Armin nicht geöffnet hatte, unten aber laute Musik dröhnte und Ricky wusste, dass Armin hin und wieder bei seinem Nachbarn abhing, hatte er dort geklingelt. Einige Male sogar, bevor die Tür endlich geöffnet wurde und ihm zunächst ein Konglomerat an Gerüchen entgegenschlug, das ihm den Atem raubte.
Auf dem Türschild stand kein Name, und es interessierte Ricky auch nicht, wie der nach altem Schweiß stinkende Wichser hieß, der eindeutig besoffen oder bekifft war. Was er zu erzählen hatte, interessierte Ricky aber schon.
»Ist ja praktisch hier vor der Tür passiert. Ich selbst hab’s ja nicht gesehen, Mann, aber die von unten, diese neugierige Trulla, die war mit ihrem Köter unterwegs und hat ihn gefunden. Und die hat auch mit jemandem gesprochen, der es gesehen hat.«
Hier unterbrach sich der Typ, stieß auf, rülpste und blies Ricky fauligen Mundgeruch entgegen. Das schien er selbst zu merken, denn er wedelte mit der Hand vor seinem Gesicht herum und nuschelte eine Entschuldigung, bevor er weitersprach.
»Der Wagen soll ihn vom Fahrrad gerissen haben, und dann ist der Fahrer zurückgesetzt und hat noch mal drübergefahren … Immer wieder, hat die Trulla gesagt, bis nur noch ein Fleischklumpen übrig war … Die ganze Straße voller Blut und Gedärm und so … Mann, Scheiße, ich kann’s noch
Weitere Kostenlose Bücher